Entscheidungsstichwort (Thema)
Grob ungehörige Handlung i.S. von § 118 OWiG
Leitsatz (redaktionell)
Ob das Hissen der Reichskriegsflagge eine grob ungehörige Handlung darstellt, die zur Belästigung oder Gefährdung der Allgemeinheit geeignet ist und zu einer möglichen Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung führen kann, ist aufgrund der gesamten Umständen des Einzelfalles zu entscheiden.
Verfahrensgang
AG Westerburg (Entscheidung vom 31.03.2009; Aktenzeichen 2020 Js 66712/08.32 OWi) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Westerburg vom 31. März 2009 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Westerburg zurückverwiesen.
Gründe
I. Das Amtsgericht verhängte gegen den Betroffenen am 31. März 2009 wegen "einer fahrlässig begangenen Ordnungswidrigkeit einer ungehörigen Handlung, die geeignet ist, die Allgemeinheit zu belästigen durch Hissen der Reichskriegsflagge" eine Geldbuße von 1.000 €. Nach den Urteilsfeststellungen hisste der Betroffene am 25. August 2008 auf einem Fahnenmast hinter seinem Haus eine Reichskriegsflagge des Norddeutschen Bundes, die in der Zeit von 1867 bis 1921 vom Norddeutschen Bund zur Flagge der Kriegs- und Handelsmarine und ab 1892 zur Kriegsflagge des Deutschen Reiches erhoben wurde. Das Grundstück befindet sich in der Nähe einer Realschule, an dem ein Teil der Schüler auf ihrem Schulweg vorbeikommen. Der Betroffene hätte bei gehöriger Anspannung seiner Erkenntnisfähigkeit erkennen können und müssen, dass dieses Verhalten die herrschenden und ethischen Anschauungen von der Gleichheit und unantastbaren Würde des Menschen stört. Zumindest hätte er dies bezüglich Erkundigungen vor Hissen der Flagge einholen müssen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt.
II. Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache einen - vorläufigen - Erfolg. Die Urteilsfeststellungen tragen den Schuldspruch einer Ordnungswidrigkeit gemäß § 118 Abs. 1 OWiG nicht.
1. Zwar kann das Hissen der Reichskriegsflagge den objektiven Tatbestand des § 118 Abs. 1 OWiG erfüllen. Ob es sich dabei um eine grob ungehörige Handlung handelt, die zur Belästigung oder Gefährdung der Allgemeinheit geeignet ist und zu einer möglichen Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung führen kann, ist aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalles zu entscheiden.
a) Die Flagge, die der Marine des Norddeutschen Bundes und anschließend der Reichskriegsmarine als Hoheitszeichen diente, findet heute in dieser Funktion nicht mehr Verwendung und ist in der ursprünglichen Bedeutung auch kaum mehr im öffentlichen Bewusstsein allgemein bekannt. Vielmehr ist sie als "Kampfsymbol" militärischen Ursprungs nach dem Jahre 1945 und gehäuft in jüngerer Zeit vornehmlich von nationalistisch und rassistisch gesinnten, von zu Gewalt bereiten Gruppierungen in der Öffentlichkeit missbraucht worden (vgl. OVG Münster NJW 1994, 2909, 2910; Brandenburgisches OLG NJW 2002, 1440 ff.).
Es liegt daher nahe, dass das öffentliche Hissen dieser Fahne als Identifikation mit den Zielsetzungen dieser Gruppierungen verstanden wird. Das gilt insbesondere dann, wenn das Zeigen der Reichskriegsflagge im inneren und äußeren Zusammenhang mit dem Skandieren nationalsozialistischer Parolen, etwa der Parole "Ausländer raus" steht. In derartigen Fällen kommt sogar eine Strafbarkeit nach § 130 StGB in Betracht (vgl. Brandenburgisches OLG aaO.). Eine solche Wirkung der demonstrativ öffentlich zur Schau gestellten Reichskriegsflagge kann, ohne dass die Voraussetzungen des § 130 StGB erfüllt sind, aber auch eine Gefahr für die öffentliche Ordnung begründen (vgl. OVG Münster aaO.). Die Reichskriegsflagge als Symbol nationalsozialistischer Anschauungen und/oder Ausländerfeindlichkeit stellt in diesen Fällen eine nachhaltige Beeinträchtigung der Voraussetzungen für ein geordnetes staatsbürgerliches Zusammenleben und damit eine Gefahr für die öffentliche Ordnung dar. Dem entsprechend sieht der Erlass des Landesinnenministers von Rheinland-Pfalz vom 2. Oktober 1998 vor, dass die Polizeibehörden das Zeigen und Verwenden der Reichskriegsflagge in der Öffentlichkeit aus der Zeit vor 1935 nach § 9 Abs. 1 POG zu unterbinden und die Flagge gemäß § 22 POG sicherzustellen haben.
b) Die amtsgerichtlichen Feststellungen sind insoweit lückenhaft und ermöglichen dem Senat nicht die Prüfung, ob das Amtsgericht zu Recht den objektiven Tatbestand des § 118 Abs. 1 OWiG bejaht hat.
aa) Nach den Urteilsfeststellungen wurde die Fahne hinter dem Haus des Betroffenen auf seinem Privatgrundstück gehisst. Bei dieser Sachlage versteht es sich nicht von selbst, dass die Reichskriegsflagge demonstrativ öffentlich zur Schau gestellt worden ist. Zu Recht führt die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 30. Dezember 2009 hierzu aus:
"Die Urteilsgründe ...