Entscheidungsstichwort (Thema)

Wohnortanwalt im auswärts zu führenden Urkundenprozess

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, ob die Klagepartei des Urkundenprozesses verpflichtet ist, einen Prozessbevollmächtigten mit Kanzlei am Sitz des Prozessgerichts ausschließlich schriftlich zu informieren (hier verneint - Abgrenzung zu OLG Brandenburg NJW-RR 2010, 69 - 70).

 

Normenkette

ZPO §§ 91, § 592 ff; BGB § 670

 

Verfahrensgang

LG Koblenz (Aktenzeichen 12 O 75/09)

 

Tenor

Die Sache wird unter Aufhebung der Nichtabhilfeentscheidung vom 8.3.2011 an das LG Koblenz zurückgegeben, das auch über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu befinden hat.

Gerichtskosten sind für das Beschwerdeverfahren nicht zu erheben.

 

Gründe

Die Klägerin mit Geschäftssitz in München hat den Beklagten (Wohnort: Landgerichtsbezirk Koblenz) im Urkundenprozess erfolgreich auf Zahlung in Anspruch genommen. Dabei wurde die Klägerin von Münchener Rechtsanwälten vertreten, die indes für den Verhandlungstermin bei dem LG Koblenz einen dortigen Anwalt als Terminvertreter beauftragten.

Im angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss hat der Rechtspfleger weder die Mehrkosten des Terminvertreters noch fiktive Reisekosten der Münchener Hauptbevollmächtigten als erstattungsfähig anerkannt. Für den in Koblenz zu führenden Prozess habe es keines Mandantengesprächs bedurft. Die Klägerin hätte einen Koblenzer Hauptbevollmächtigten beauftragen und schriftlich informieren müssen.

Das zulässige Rechtsmittel hat einen vorläufigen Erfolg; es führt zur Aufhebung der Nichtabhilfeentscheidung und zu Rückgabe der Sache an das LG.

Der Rechtspfleger hat das Grundrecht der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 6 Abs. 2 der rheinland - pfälzischen Landesverfassung) nicht hinreichend beachtet. Danach hat das Gericht den Vortrag der Parteien nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern auch dessen Sachkern zu prüfen, zu berücksichtigen und zu würdigen. Daran mangelt es.

Die sofortige Beschwerde hatte zutreffend darauf hingewiesen, dass nach der neueren Rechtsprechung des BGH die Zuziehung eines am Wohn- oder Geschäftsort der Anspruchstellerin ansässigen Rechtsanwalts durch eine an einem auswärtigen Gericht klagende Partei im Regelfall eine Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung i.S.v. § 91 Abs. 2 S. 1 Halbs. 2 ZPO darstellt.

Das hat der Rechtspfleger auch gesehen, indes gemeint, hier sei ein Ausnahmefall gegeben, weil es sich um einen Urkundenprozess handele.

Hätte der Rechtspfleger diese Frage, wie es spätestens aufgrund des Beschwerdevorbringens unerlässlich war, vertieft geprüft, wäre er auf die Entscheidung des BGH v. 28.1.2010 - III ZB 64/09 - gestoßen, die u.a. in JurBüro 2010, 369 - 370 und RVGreport 2010, 156 - 157 veröffentlicht ist. Danach steht außer Zweifel, dass die Klägerin auch im Urkundenprozess Münchener Anwälte beauftragen durfte und deren Reisekosten nach Koblenz und zurück auch erstattet bekäme, wenn die Prozessbevollmächtigten derart vorgegangen wären.

Vieles spricht dafür, dass durch die stattdessen erfolgte Beauftragung eines Koblenzer Unterbevollmächtigten, geringere Kosten entstanden sind als durch eine anwaltliche Geschäftsreise von München nach Koblenz und zurück.

Die Klägerin, die nicht über eine eigene Rechtsabteilung verfügt, musste nicht einen Koblenzer Hauptbevollmächtigten ausschließlich schriftlich informieren. Der Sachverhalt ist zwar überschaubar, betrifft jedoch spezielle wirtschaftliche und rechtliche Fragen, mit denen die Münchener Anwälte erkennbar bestens vertraut sind. Der Klägerin darf nach Auffassung des Senats nicht angesonnen werden, stattdessen unter erheblichem Arbeitsaufwand einen Koblenzer Anwalt umfassend und schriftlich über die für diesen völlig neue Materie zu informieren. Für den insoweit erforderlichen Mehr- und Eigenaufwand erhält die Partei nämlich keinerlei Erstattung, so dass es aus ihrer billigenswerten Sicht wirtschaftlich vernünftig ist, die Sache in die Hände des Hausanwalts vor Ort zu legen, der mit allem Entscheidungsrelevanten bestens vertraut ist.

Dem steht nicht entgegen, dass die Zuziehung eines Rechtsanwalts am Ort des Prozessgerichts zur Kostenersparnis zumutbar sein kann, wenn bei einem in tatsächlicher Hinsicht überschaubaren Streit um eine Geldforderung die Gegenseite versichert hat, nicht leistungsfähig zu sein und gegenüber einer Klage keine Einwendungen zu erheben. Denn ein solcher Fall lag hier nicht vor. Der Beklagte ist der Klage nachdrücklich mit einer Vielzahl von Einwänden entgegengetreten.

Aus der vom Rechtspfleger zitierten, in NJW-RR 2010, 69 - 70 abgedruckten Entscheidung des OLG Brandenburg ergibt sich nicht Gegenteiliges. Denn dort ging es im Wechselprozess nur darum, dem Anwalt am Sitz des Prozessgerichts die Wechsel- und die Protesturkunde zu übermitteln und die Identität des Akzeptanten zu benennen. Weitere Informationen brauchte der Anwalt nicht. Ähnlich, aber mit dem vorliegenden Fall ebenfalls nicht vergleichbar, ist der Sachverhalt der in AnwBl. 1989, 683 abgedruckten...

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