Leitsatz (amtlich)
1. Setzen sich im Rahmen eines Berliner Testaments die Ehegatten wechselseitig zu Erben ein, so ist nach dem Tod des Letztversterbenden im Rahmen der Berechnung eines Pflichtteils- oder Pflichtteilsergänzungsanspruchs in der Regel von zwei getrennten Erbfällen und nicht nur von einem Erbfall auszugehen, auch wenn die Erblasser bei Abfassung des gemeinschaftlichen Testaments nur einen begünstigenden Erbfall bedacht haben (in Anknüpfung an BGHZ 88, 102 - Urt. v. 13.7.1983 - IV a ZR 15/82, NJW 1983, 2875; Urt. v. 22.9.1982 - IV a ZR 26/81, WM 1982, 1254 = NJW 1983, 277).
2. Für einen stillschweigenden Pflichtteilsverzicht bedarf es unter Berücksichtigung einer ergänzenden Testamentsauslegung bzw. der Andeutungstheorie gesicherter Anhaltspunkte (in Anknüpfung an BGHZ 22, 364 - Urt. v. 9.3.1977 - IV ZR 114/75, NJW 1977, 390; OLG Düsseldorf, Urt. v. 23.7.1999 - 7 U 236/98, OLGReport Düsseldorf 2000, 330; OLG Hamm, Urt. v. 4.4.1995 - 10 U 90/04, NJW-RR 1996, 906; BayObLG, Beschl. v. 10.2.1981 - BReg 1 Z 125/80, MDR 1981, 673).
Normenkette
BGB § 2269 Abs. 1, §§ 2273, 2315 Abs. 1, § 2316 Abs. 1, §§ 2317, 2346, 2348
Verfahrensgang
LG Koblenz (Aktenzeichen 5 O 210/08) |
Tenor
Die Gerichtskosten der ersten Instanz tragen die Klägerin zu 1) zu ¼ und der Beklagte zu ¾. Von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1) in der ersten Instanz hat der Beklagte ½ zu tragen. Die Klägerin zu 1) trägt ¼ der in erster Instanz entstandenen außergerichtlichen Kosten des Beklagten.
Ihre übrigen außergerichtlichen Kosten erster Instanz tragen die Parteien jeweils selbst.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Gründe
Nachdem die Parteien übereinstimmend den Rechtstreit in der Hauptsache für erledigt erklärten haben, war nur noch über die Kosten des Rechtsstreits unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden (§ 91a ZPO). Im Einzelnen:
I. Die Parteien sind leibliche Kinder der Eheleute Dr. H, und H. B. Aus dieser Ehe sind insgesamt vier Kinder hervorgegangen, neben den Parteien noch Dr. med. D. B.. Die Eltern der Parteien errichteten durch notarielle Urkunde vom 12.8.1996 ein gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich wechselseitig zu alleinigen und unbeschränkten Erben eingesetzt und für den Fall des Todes des Letztversterbenden ihre vier Kinder zu gleichen Teilen als Erben berufen haben. Zugleich hatten sie Vermächtnisse ausgesetzt und in Ziff. IV. der notariellen Urkunde angeordnet, dass zugunsten der Kläger erfolgte Vorausempfänge (90.000 DM für die Klägerin, ½-Anteile an 10 Eigentumswohnungen in Berlin für beide Kläger) auszugleichen sind. In Ziffer X. der Urkunde hatten die Eltern der Parteien ferner die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments dahingehend eingeschränkt, dass der Überlebende berechtigt sein sollte, sämtliche Verfügungen - mit Ausnahme der gegenseitigen Erbeinsetzung - zu ergänzen, abzuändern oder aufzuheben und erneut zu verfügen, dies alles jedoch nur zugunsten gemeinschaftlicher Abkömmlinge.
Zuvor hatten die Eltern der Klägerin mit Vertrag vom 14.6.1995 (GA 32) ein zinsloses Darlehen über 110.000 DM gewährt und einen weiteren Betrag von 90.000 DM "als vorgezogenes Erbe" zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus hatten die Eltern mit notariellem Übergabevertrag vom 28.12.1995 (GA 66) die von ihnen gehaltenen Miteigentumsanteile an insgesamt 10 Eigentumswohnungen des Anwesens C. straße 2-3 in Berlin - insgesamt jeweils ½-Miteigentumsanteil mit einem Gesamtwert von 662.000 EUR zum Stichtag 4.6.2005 - beiden Klägern geschenkt. In Ziff. II des notariellen Vertrags ist bestimmt:
"Die Erwerber haben sich die Übertragung mit ihrem Wert im Zeitpunkt des Erbfalls auf ihren Erbteil bzw. Pflichtteil nach den Übergebern anrechnen zu lassen."
Der Vater der Parteien, Dr. med. H. B., verstarb am 3.2.1997 und wurde von seiner Ehefrau, H. B., allein beerbt.
Mit notariellem Testament vom 14.11.1997 (GA 24) hob die Mutter der Parteien sämtliche in den Ziffern II. - IX. des gemeinschaftlichen Testaments getroffenen Bestimmungen auf und setzte nunmehr den Beklagten zu ihrem Alleinerben ein. Bezüglich der Eigentumsetage M. in K., in der der Bruder Dr. med. D. B. seine orthopädische Praxis betreibt, setzte sie ein Vermächtnis zugunsten Dr. med. D. B. aus. Mit notariellem Testament vom 12.10.1999 (GA 30) regelte sie das ausgesetzte Vermächtnis neu. Am 7.12.1999 übertrug sie das Einfamilienhaus R. Str. 17 in K. dem Beklagten zu Eigentum (Wert: 390.899,84 EUR) und am 22.3.2005 errichtete sie ein weiteres Testament, in dem sie unter Widerruf der früheren Vermächtnisse den Beklagten zum Alleinerben einsetzte (GA 36).
Im Zusammenhang mit dem notariellen Übergabevertrag bezüglich der 10 Eigentumswohnungen in Berlin hatten die Kläger im Dezember 1995 (GA 66) bzw. in Januar 1996 ihre Eltern in notarieller Urkunde bevollmächtigt, sie in allen persönlichen und vermögensrechtlichen Angelegenheiten zu vertreten. Nach dem Tod des Vaters kam es im April oder Mai 1...