Leitsatz (amtlich)
1. Gerichtliche Sorgerechtsmaßnahmen in Form von Geboten zur Inanspruchnahme von öffentlichen Hilfen und der Zusammenarbeit mit dem Jugendamt haben nicht (primär) den Zweck, vollstreckt zu werden. Halten sich die betroffenen Eltern nicht an die Gebote, kommt (regelmäßig) nicht deren zwangsweise Durchsetzung in Betracht, sondern bei einer fehlenden Kooperation der Eltern sind dann in einem weiteren Schritt tiefgreifendere gerichtliche Sorgerechtsmaßnahmen zu prüfen. Aus diesem Grund sind an solche Gebote auch geringere Bestimmtheitsanforderungen zu stellen.
2. Gerichtliche Sorgerechtsmaßnahmen in Form von Geboten zur Inanspruchnahme von öffentlichen Hilfen und der Zusammenarbeit mit dem Jugendamt bedürfen nicht zwingend der Festlegung eines Endzeitpunktes. Denn oft kann deren Erfolg erst im Rahmen einer zukünftigen Evaluation festgestellt werden. Die Kindeseltern erleiden hierdurch keinen rechtlichen Nachteil. Denn gemäß § 1696 Abs. 2 BGB ist das Gebot aufzuheben, wenn dessen Voraussetzungen nicht mehr vorliegen.
Normenkette
BGB § 1666 Abs. 3, §§ 1666a, 1696
Verfahrensgang
AG Neuwied (Beschluss vom 23.06.2016) |
Tenor
1. Die Beschwerden der Kindeseltern und des Jugendamts der Stadt N., Amt für Jugend und Soziales, gegen den Beschluss des AG - Familiengericht - Neuwied vom 23.06.2016 werden mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass es in Ziff. 1 dieses Beschlusses statt "bis zu drei Besuche" heißen muss "bis zu drei Besuche pro Woche".
2. Gerichtskosten werden für das Beschwerdeverfahren nicht erhoben; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
3. Der Verfahrenswert wird für das Beschwerdeverfahren auf 1.000 EUR festgesetzt.
4. Den Kindeseltern wird für das Beschwerdeverfahren ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt R. aus N. bewilligt.
Gründe
I. Im vorliegenden Beschwerdeverfahren wehren sich die Kindeseltern und das zuständige Jugendamt gegen eine familiengerichtliche Anordnung, mit welcher die Kindeseltern verpflichtet worden sind, weiterhin bis zu drei Hausbesuche der bei ihnen eingesetzten sozialpädagogischen Familienhilfe zu dulden und konstruktiv mit dem zuständigen Jugendamt mitzuwirken.
...
II. Die beiderseitigen Rechtsmittel sind in verfahrensrechtlicher Hinsicht (§§ 57 ff. FamFG) nicht zu beanstanden; in der Sache bleiben sie jedoch ohne Erfolg. Lediglich die Berichtigung einer offensichtlichen Unrichtigkeit im Beschlusstenor hat der Senat vorzunehmen.
1. Der Senat entscheidet gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG.
2. Das Familiengericht hat das angegriffene Gebot gegenüber den Kindeseltern gemäß § 1666 Abs. 1, 3 Nr. 1 BGB zu Recht angeordnet.
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e) Das angefochtene Gebot ist schließlich auch weder zu unbestimmt noch war die Festlegung eines Zeitraums, während dessen die Kindeseltern dem Gebot Folge leisten sollen, erforderlich. Eben so wenig mangelt es der Anordnung an einer ausreichenden Verbindlichkeit.
Ausgangspunkt ist dabei, dass nach § 1666 Abs. 1, 3 BGB den Eltern auferlegte Gebote nicht (primär) den Zweck haben, vollstreckt zu werden. Vielmehr sind sie unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten anzuordnen, um von einem stärkeren Eingriff in das elterliche Sorgerecht abzusehen. Halten sich die betroffenen Eltern nicht an die Gebote, kommt daher (regelmäßig) nicht deren zwangsweise Durchsetzung in Betracht, sondern bei einer fehlenden Kooperation der Eltern sind dann in einem weiteren Schritt tiefgreifendere gerichtliche Sorgerechtsmaßnahmen - bis hin zur Herausnahme des Kindes - zu prüfen.
Sodann ergibt sich aus dem Kontext, dass das Familiengericht hier den Eltern die Duldung von bis zu drei Besuchen "pro Woche" auferlegen wollte. Insoweit ist der Beschlusstenor zu berichtigen. Dieser Umfang entspricht der Minimalforderung des Jugendamts und auch der Praxis in der näheren Vergangenheit, bevor der Kindesvater eine weitere Reduzierung forderte. Die Formulierung "bis zu" ist auch ausreichend und überlässt gemäß dem o.g. Zweck dieses Gebots dem Jugendamt hier zulässigerweise im Einzelfall die Entscheidung nach dem konkreten Umfang der Maßnahme.
Die Festlegung eines Endzeitpunkts der zu duldenden Maßnahme war nicht angezeigt. Denn das vorstehend erwähnte Sachverständigengutachten spricht sich schlüssig für eine Evaluation der Maßnahme nach Ablauf von einem Jahr aus. Dem würde ein gerichtlich festgelegter fixer Endzeitpunkt widersprechen. Auch die Eltern erleiden hierdurch keinen rechtlichen Nachteil. Denn gemäß § 1696 Abs. 2 BGB ist das Gebot aufzuheben, wenn dessen Voraussetzungen nicht mehr vorliegen.
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Fundstellen
Haufe-Index 9835535 |
FamRZ 2017, 453 |