Leitsatz (amtlich)
Zu den Darlegungsanforderungen bei Verurteilungen wegen Geschwindigkeitsverstößen, die mit dem Messgerät Leivtec XV3 ermittelt wurden. Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens.
Normenkette
OWiG § 71; StPO §§ 261, 267 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Mainz (Entscheidung vom 05.02.2021; Aktenzeichen 3200 Js 18848/20) |
Tenor
- Das Verfahren wird mit Zustimmung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt.
- Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe
I.
Am 5. Februar 2021 verurteilte das Amtsgericht Mainz den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 22 km/h zu einer Geldbuße von 80,- Euro. Nach den Feststellungen befuhr er am 18. März 2020 gegen 11: 29 Uhr mit einem Pkw in ...[Z] die ...[Y] Straße Richtung Autobahn A ... in Höhe der ...[X]-Straße .. im dort auf 50 km/h beschränkten Bereich mit 72 km/h (nach Toleranzabzug), gemessen mit dem Lasermessgerät Leivtec XV3.
Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil wurde für den Betroffenen durch Schriftsatz des Verteidigers vom 5. Februar 2021, am 9. Februar 2021 bei Gericht eingegangen, eingelegt.
Mit Schriftsatz des Verteidigers vom 26. März 2021, an diesem Tag bei Gericht eingegangen, wurde die Rechtsbeschwerde gegen das am 1. März 2021 zugestellte Urteil begründet. Gerügt wird mit der Verfahrensrüge die Ablehnung zweier Beweisanträge sowie allgemein die Verletzung materiellen Rechts.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat ursprünglich beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen. Der Betroffene hatte über seinen Verteidiger Gelegenheit zur Stellungnahme, hat hiervon jedoch zunächst keinen Gebrauch gemacht.
Der Senat hat mit Beschluss des Einzelrichters vom 22. September 2021 die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG zur Fortbildung des Rechts zugelassen und die Sache gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 OWiG auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
In der Folge hat der Senat den rechtlichen Hinweis erteilt, dass er an der Einordnung der Geschwindigkeitsmessung mit dem Lasermessgerät Leivtec XV3 als standardisiertes Messverfahren nicht länger festzuhalten beabsichtigt. Die Generalstaatsanwaltschaft und der Betroffene hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Schreiben vom 29. November 2021 einer Einstellung des Verfahrens gemäß § 47 Abs. 2 OWiG zugestimmt. Der Betroffene ist über seinen Verteidiger einer Einstellung des Verfahrens nicht entgegen getreten.
II.
Das Verfahren war gemäß § 47 Abs. 2 OWiG mit Zustimmung der Generalstaatsanwaltschaft einzustellen. Der Betroffene ist zwar eines Geschwindigkeitsverstoßes hinreichend verdächtig, im vorliegenden Fall ist jedoch eine Ahndung dieses Verstoßes nicht geboten.
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hätte im Falle der Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens einen vorläufigen Erfolg. Auf die Sachrüge wäre das Urteil des Amtsgerichts Mainz vom 5. Februar 2021 mit den Feststellungen aufzuheben und zu neuer Verhandlung und Entscheidung an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen, weil das Urteil, in dem der Tatrichter vom Vorliegen der Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens ausgegangen ist, an einem durchgreifenden sachlich-rechtlichen Feststellungs- und Darstellungsmangel im Sinne von § 71 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 1 StPO leidet. Nach Auffassung des Senats, die im Folgenden näher ausgeführt werden wird, kann hinsichtlich der Geschwindigkeitsmessungen mit dem Lasermessgerät Leivtec XV3 nicht mehr von einem standardisierten Messverfahren ausgegangen werden. Unter Berücksichtigung dieser Rechtsauffassung des Senats wäre der neue Tatrichter somit gehalten, zur Überprüfung der Ordnungsgemäßheit der Messung ein Sachverständigengutachten in Auftrag zu geben. Angesichts des Umfangs dieser Beweisaufnahme, der in einem unangemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht, des Zeitablaufs seit der Tatbegehung sowie des vergleichsweise geringen zu verhängenden Bußgelds ist die Einstellung des Verfahrens sachgerecht.
1. Der Senat hat bei seiner Prüfung der Frage, ob es sich bei Geschwindigkeitsmessungen mit dem Lasermessgerät Leivtec XV3 um ein standardisiertes Messverfahren handelt, die hierzu seitens des Bundesgerichtshofs formulierte Definition zugrunde gelegt. Danach ist unter einem standardisierten Messverfahren ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren zu verstehen, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind. Diesen Anforderungen werden grundsätzlich auch Lasermessverfahren gerecht, bei denen die Geschwindigkeitsmessung von besonders geschultem Messpersonal unter Beachtung der Betriebsanleitung des Geräteherstellers und der Zulassungsbedingungen der Physikalisch-Technischen ...