Leitsatz (amtlich)
Es verstößt nicht gegen den Zweifelssatz, wenn im Falle einer Geschwindigkeitsmessung mit der Messanlage Truvelo M 42 der Feststellung der dem Betroffenen anzulastenden Geschwindigkeit der vom Standardgerät (Hauptrechner) ermittelte Wert auch dann zu Grunde gelegt wird, wenn er höher ist als der des Kontrollgeräts (Kontrollrechner).
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Linz vom 25. Mai 2002 wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Der Betroffene wendet sich mit der Rechtsbeschwerde, deren Zulassung er beantragt hatte, gegen das Urteil des Amtsgericht Linz vom 22. Mai 2002, durch das er wegen fahrlässiger Überschreitung der außerörtlichen Höchstgeschwindigkeit (hier: 130 km/h) um 21 km/h zu einer Geldbuße von 40 EUR verurteilt wurde.
Nach den tatrichterlichen Feststellungen hatte eine Geschwindigkeitsmessung mit einer Messanlage Truvelo M 42 einen "Hauptrechnerwert" von 156 km/h und einen "Kontrollrechnerwert" von 154 km/h ergeben. Mit der Begründung, es sei "ständige Rechtsprechung und Vorgabe der technischen Prüfanstalt, dass für die Geschwindigkeitsmessung das Messergebnis des Hauptrechners entscheidend" sei, hat der Tatrichter dem Betroffenen eine Geschwindigkeit von (abgerundet) 151 km/h (156 km/h abzüglich 3%) zur Last gelegt.
Der Betroffene ist der Auffassung, der Grundsatz "in dubio pro reo" gebiete die Zugrundelegung des niedrigeren Messwertes.
Mit Beschluss vom 26. November 2002 hat der Senat (Einzelrichter) die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des materiellen Rechts zugelassen (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG), weil diese Frage - soweit ersichtlich - bisher noch nicht höchstrichterlich entschieden wurde. Ihre Beantwortung ist zumindest für den Rechtsfolgenausspruch entscheidungserheblich, weil eine Überschreitung der außerörtlichen Höchstgeschwindigkeit um 21 km/h im Regelfall mit einem Bußgeld von 40 EUR (und einem Punkt "in Flensburg") geahndet wird, während die Regelsanktion für eine um 1 km/h geringere Geschwindigkeitsüberschreitung ein Bußgeld von 30 EUR ist.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet, weil es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist, dass das Amtsgericht der Berechnung der dem Betroffenen anzulastenden Geschwindigkeit den höheren Messwert zu Grunde gelegt hat. Der Zweifelssatz gebietet nicht die Berücksichtigung des niedrigeren Wertes.
1.
Messgeräte, die mit einem vertretbaren technischen und finanziellen Aufwand für den Alltagsgebrauch produziert werden, bieten keine Gewähr für eine absolut genaue Messung in jedem Einzelfall. Vielmehr ist zu erwarten, dass der angezeigte Messwert nicht selten mehr oder weniger vom wahren Wert abweicht. Dem trägt das Eichrecht dadurch Rechnung, dass ein Messgerät rechtlich als richtig messend gilt, wenn es über einen längeren Zeitraum (der bei eichpflichtigen Geräten mindestens der Gültigkeitsdauer der Eichung entsprechen muss) Messergebnisse innerhalb der zulässigen Fehlergrenzen liefert (§§ 33, 36, 37 Eichordnung (EO).
Für Geschwindigkeitsmessgeräte sind die in Anlage 18, Abschnitt 11 zu § 33 EO aufgeführten Fehlergrenzen maßgeblich. Während die niedrige Eichfehlergrenze nach Nr. 4. 1. 1 für die Geräteprüfung unter optimierten Laboratoriumsbedingungen gilt (und deshalb für Zulassungs- und Eichbehörden von Relevanz ist), ist für die Praxis der Verkehrsüberwachung die höhere Fehlergrenze für Prüfungen unter tatsächlichen Einsatzbedingungen (Nr. 4. 1. 2) maßgebend. Sie entspricht der Verkehrsfehlergrenze (§ 33 Abs. 4 S. 2 EO i. V. m. Nr. 4. 2) und beträgt 3 km/h bei Messwerten bis 100 km/h und 3 % des richtigen Wertes bei höheren Messergebnissen (wobei auf eine ganze Zahl aufzurunden ist). Die Verkehrsfehlergrenze trägt der Unvollkommenheit der Messgeräte sowie dem Umstand Rechnung, dass im alltäglichen Einsatz auch bei genauer Einhaltung der Bedienungsanleitung Fehlerquellen auftreten können, von denen jede isoliert betrachtet wahrscheinlich nur Einfluss auf eine unbedeutende Dezimalstelle hätte, die aber, was nie mit Sicherheit auszuschließen ist, in der Summe das Messergebnis nennenswert zu Gunsten oder zu Ungunsten des Führers eines gemessenen Fahrzeugs beeinflussen könnten.
Das bedeutet:
Bei einer wahren Geschwindigkeit von beispielsweise exakt 90 km/h misst ein Geschwindigkeitsmessgerät richtig im Sinne des Eichrechts, wenn sich die Anzeige in der Spanne von 87 km/h bis 93 km/h bewegt. Da bei einer Geschwindigkeitsmessung unter Alltagsbedingungen aber niemand die wahre Geschwindigkeit kennt oder feststellen kann, wird zu Gunsten des Fahrzeugführers unterstellt, dass das Messgerät die Verkehrsfehlergrenze zu seinen Ungunsten ausgeschöpft hat. Im Beispielsfall wird ihm bei einer Anzeige von 87 km/h eine Geschwindigkeit von nur 84 km/h angelastet, bei einer Anzeige von 93 km/h errechnet sich eine Geschwindigkeit von 90 km/h. Bei höheren Messwerten (z. B. wahrer Wert: 200 km/h; Anzeige: 206 km/h) führt in der Praxis noch die Aufrundung (3% = 6. 18 = 7) zu einer Verschiebung zu Gun...