Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Anrechnung der Geschäftsgebühr bei Anwaltswechsel auf Beklagtenseite
Leitsatz (amtlich)
Die Anrechnungsregelung der Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG-VV (Kürzung um die Hälfte einer zuvor entstandenen Geschäftsgebühr) ist auch auf Beklagtenseite nicht anzuwenden, wenn dieser vorprozessual von einem anderen Anwalt als im Rechtsstreit vertreten war. § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO erfasst auch in diesem Fall nur den innerprozessualen Anwaltswechsel.
Normenkette
ZPO § 91 Abs. 2 S. 2; RVG-VV Vorbem. 3 Abs. 4
Verfahrensgang
LG Mainz (Beschluss vom 18.09.2008; Aktenzeichen 1 O 356/07) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten werden der Kosten-festsetzungsbeschluss des LG Mainz vom 18.9.2008 und der Teilabhilfebeschluss vom 24.9.2008 geändert.
Nach dem Vergleich des LG Mainz vom 29.5.2008 werden die von der Klägerin an die Beklagte zu 1) und den Beklagten zu 2) zu erstattenden Kosten auf 1.625,73 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13.6.2008 festgesetzt.
Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Klägerin auferlegt (Wert: 765,83 EUR).
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I. Zu Protokoll des LG Mainz haben die Parteien am 29.5.2008 einen Vergleich geschlossen, nach dem die Klägerin von den Kosten des Verfahrens und des Vergleichs 2/3 und die Beklagten 1/3 zu tragen haben. Anders als die Prozessbevollmächtigten der Klägerin, die bereits vorgerichtlich für diese tätig gewesen sind, ist die Prozessbevollmächtigte der Beklagten außergerichtlich in dieser Sache zu keinem Zeitpunkt tätig geworden.
Mit dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 18.9.2008 hat der Rechtspfleger auf der Beklagtenseite u.a. die Umsatzsteuer nicht berücksichtigt. Daneben hat er die Verfahrensgebühr lediglich mit 0,65 angesetzt und dazu ausgeführt:
"Zwar konnte das Gericht keine vorgerichtliche Tätigkeit des aktuellen Prozessbevollmächtigten feststellen. Allerdings ist aus der Akte ersichtlich, dass vorgerichtlich ein anderer Rechtsanwalt tätig war (RA'e Stritter & Partner, Schreiben vom 11.5.2006). In diesem Falle greift zwar nicht die Anrechnungsvorschrift (Teil 3, Vorbemerkung 3, Abs. IV RVG-VV). Allerdings ist für das Gericht keine Notwendigkeit eines Anwaltswechsels zu erkennen. Somit ist der durch den Anwaltswechsel herbeigeführte Anfall einer vollen Verfahrensgebühr nicht in voller Höhe (sondern nur zu 0,65) erstattungsfähig. Es ist damit nicht vertretbar, wenn die Gegenseite bei einem nicht notwendigen Anwaltswechsel die volle Ver-fahrensgebühr tragen muss."
Der sofortigen Beschwerde der Beklagten vom 22.9.2008 hat der Rechtspfleger mit dem Beschluss vom 24.9.2008 teilweise abgeholfen. Er hat nun die Umsatzsteuer berücksichtigt und die Sache im Übrigen dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
II. Die zulässige sofortige Beschwerde hat auch insoweit Erfolg, als zu Lasten der Beklagten in Anrechnung der Geschäftsgebühr die Verfahrensgebühr gekürzt wurde. Über die Teilabhilfe hinaus sind daher alle mit Antrag vom 23.6.2008 angemeldeten außergerichtlichen Kosten der Beklagten (157, 158 GA) antragsgemäß in die Kostenausgleichung einzubeziehen. Wie auch der Rechtspfleger nicht verkannt hat, ist die Prozessbevollmächtigte der Beklagten vorgerichtlich für diese nicht tätig geworden. Vorgerichtlich waren andere Bevollmächtigte beauftragt. Der Rechtspfleger hat auch noch gesehen, dass in diesem Falle die Anrechnungsvorschrift des RVG nicht greift. In Anwendung des § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO hat er es jedoch als geboten erachtet, die Verfahrensgebühr zu kürzen. Dieser Rechtsansicht ist nicht zu folgen.
Für den vergleichbaren Fall des Anwaltswechsels vor Prozessbeginn auf der Klägerseite hat der Senat mit seiner Entscheidung vom 20.8.2008 (14 W 524/08) folgendes ausgeführt:
"Der Einwand der Beklagten, die Gebühr dürfe nur i.H.v. 0,65 berücksichtigt werden, weil für die vorprozessuale Interessenvertretung der Klägerin bereits eine Geschäftsgebühr von 1,3 (Nr. 2300 RVG-VV) erfallen sei, trägt nicht. Es steht außer Frage, dass die Klägerin uneingeschränkt mit der Verfahrensgebühr von 1,3 belastet worden ist. Die Anrechnungsregelung der Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG-VV, die eine Kürzung um die Hälfte einer zuvor entstandenen Geschäftsgebühr vorsieht (BGH NJW 2007, 3500 f.), kommt im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung; denn die Klägerin wurde vorprozessual und innerpro-zessual jeweils durch verschiedene Anwälte vertreten. Deshalb kann dem von ihr erhobenen Erstattungsanspruch allenfalls mit dem Argument begegnet werden, der Anfall der Verfahrensgebühr sei im Umfang von 0,65 nicht notwendig (§ 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO) gewesen, weil er insoweit bei einer Beauftragung der außergerichtlich tätigen Bevollmächtigten mit der Führung des Rechtsstreits hätte vermieden werden können (offen gelassen von Fölsch MDR 2008, 847, 848). Auch aus dieser Erwägung lässt sich jedoch nichts Entscheidendes herleiten.
Das Gesetz stellt die Erstattungsfähigkeit von Prozesskosten, die Folge eines Anwaltswechs...