Leitsatz (amtlich)
Aus Gründen der Waffengleichheit und der Vermeidung eines prozessualen Ungleichgewichts kann die Beiordnung eines Pflichtverteidigers nach § 140 II StPO auch dann geboten sein, wenn dem durch die Tat Verletzten zwar kein Rechtsanwalt nach den §§ 397 a, 406 g Abs. 3 und 4 StPO beigeordnet worden ist, er sich eines solchen aber auf eigene Kosten bedient.
Verfahrensgang
LG Koblenz (Entscheidung vom 11.11.2003) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Angeklagten K. wird der Beschluss der Vorsitzenden der 2. Strafkammer des Landgerichts Koblenz vom 11. November 2003 aufgehoben.
Dem Angeklagten K. wird Rechtsanwalt A. H. in Koblenz als Pflichtverteidiger beigeordnet.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten K. insoweit entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe
Das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Mayen sprach den Beschwerdeführer und weitere sieben Angeklagte mit Urteil vom 5. Mai 2003 wegen gefährlicher Körperverletzung schuldig und verhängte gegen ihn eine Freiheitsstrafe von 10 Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Während das Urteil hinsichtlich der Mitangeklagten rechtskräftig ist, legte der Angeklagte K. mit Schriftsatz seines Wahlverteidigers Rechtsanwalt H. in Koblenz vom 7. Mai 2003 "Rechtsmittel" ein. Die Sache ist seit dem 21. Juli 2003 bei der 2. Strafkammer des Landgerichts Koblenz als Berufungsverfahren anhängig. Termin zur Berufungshauptverhandlung ist auf den 26. Januar 2004 bestimmt. Mit Schriftsatz vom 5. November 2003 beantragte Rechtsanwalt H. namens des Angeklagten K., diesem gemäß § 140 Abs. 2 StPO als Pflichtverteidiger beigeordnet zu werden. Den Antrag begründete er damit, dass der Geschädigte und Nebenkläger D. M. bereits in erster Instanz anwaltlich vertreten gewesen sei und dies auch wohl in der künftigen Berufungshauptverhandlung der Fall sein werde. Mit Beschluss vom 11. November 2003 hat die Strafkammervorsitzende die Beiordnung von Rechtsanwalt H. abgelehnt. Gegen diese Entscheidung richtet sich die mit Schriftsatz des Verteidigers vom 17. November 2003 eingelegte Beschwerde des Angeklagten, der die Strafkammer unter dem 25. November 2003 nicht abgeholfen hat.
Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg. Der Angeklagte K. hat Anspruch auf Beiordnung eines Verteidigers aus § 140 Abs. 2 StPO. Nach dieser Vorschrift ist einem Angeklagten unter anderem dann ein Rechtsanwalt beizuordnen, wenn ersichtlich ist, dass er sich nicht selbst ausreichend verteidigen kann, namentlich, weil dem Verletzten nach den §§ 397 a und 406 g Abs. 3 und Abs. 4 StPO ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist. In dem Verfahren vor dem Jugendschöffengericht in Mayen war dem Nebenkläger M. in der Hauptverhandlung am 24. April 2003 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungen unter Beiordnung von Rechtsanwalt Di. in Westerburg, der auch an der Verhandlung teilnahm, bewilligt worden. Für das Berufungsverfahren hat Rechtsanwalt Di. mit Schriftsatz vom 25. November 2003 ebenfalls den Antrag auf Beiordnung und Bewilligung von Prozesskostenhilfe gestellt. Zwar ist hierüber nach Aktenlage bislang noch keine Entscheidung ergangen. Ungeachtet dessen kann die Wahrung des prozessualen Gleichgewichts und der Waffengleichheit die Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Einzelfall aber auch dann gebieten, wenn der Verletzte sich - bei fehlender Beiordnung - eines Rechtsanwalts auf eigene Kosten bedient. Denn auch in diesem Fall kann die Fähigkeit eines Angeklagten, sich selbst zu verteidigen, erheblich beeinträchtigt sein, wenn er einem verfahrensbeteiligten Verletzten gegenübersteht, der sich des fachkundigen Rats eines allein an der Wahrnehmung seiner Interessen orientierten Rechtsanwalts bedienen kann (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 46. Auflage, § 140 Rdn. 31; OLG Düsseldorf in StV 2000, 408; OLG Köln in NStZ 1989, 542; OLG Celle in StV 2000, 70; LG Essen in NStZ 1987, 184, 185; Laufhütte in Karlsruher Kommentar, StPO, 4. Auflage, § 140 Rdn. 24; Müller in KMR, StPO, § 140 Rdn. 24).
Zu der Frage des prozessualen Gleichgewichts bzw. Ungleichgewichts in vorliegender Sache hat die Generalstaatsanwaltschaft sich in ihrer Antragsschrift vom 12. Dezember 2003 auszugsweise wie folgt geäußert:
"Ein solches Ungleichgewicht ist vorliegend zu besorgen:
Der Angeklagte wurde durch das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Mayen am 5. Mai 2003 wegen gefährlicher Körperverletzung (gemeinschaftlich begangen mit sieben weiteren Mittätern) zum Nachteil des Zeugen und Nebenklägers D. M. zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde (Bd. III Bl. 596 b ff. d.A.). Das Urteil betreffend die Mittäter des Angeklagten ist rechtskräftig (Bd. III Bl. 596 b d.A.). Der Angeklagte hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt mit dem Ziel des Freispruchs und beruft sich darauf, seine Körperverletzungshandlungen zum Nachteil des Nebenklägers seien durch Notwehr gerechtfertigt gewesen (Bd. II Bl. 631 ff. d.A.). Der Verletzte konnte un...