Entscheidungsstichwort (Thema)
Zahnärztliche Aufklärungspflicht vor Implantatversorgung; keine Haftung bei geringfügiger Abweichung von empfohlener Einheilzeit beim Sinuslift
Leitsatz (amtlich)
1. Informiert der Zahnarzt den Patient über die weiteren Behandlungsmöglichkeiten und überweist ihn hiernach zur Implantatversorgung an den Kieferchirurg, trifft diesen keine erneute umfassende therapeutische Aufklärungspflicht, wenn keinerlei Anhalt besteht, dass der Zahnarzt über die weiteren Optionen nicht hinreichend aufgeklärt hat.
2. Ergibt die Parteianhörung zum Aufklärungsgespräch aufgrund der Befragung des Arztes plausibel eine hinreichende Information des Patienten, ist der Darstellung des beweisbelasteten Arztes zu folgen, wenn die Schilderung des Patienten demgegen- über signifikante Erinnerungsdefizite offenbart.
3. Unterschreitet ein Kieferchirurg die Empfehlung des Herstellers eines Medizin-produkts zur Einheilzeit (hier: Cerasorb®) geringfügig, indiziert das keinen ärztlichen Fehler, weil das konkrete klinische Bild maßgeblich ist. Belegt die darüber gefertigte Dokumentation, dass die medizinischen Voraussetzungen für die Weiterbehandlung vorlagen, ist das ärztliche Vorgehen hinreichend legitimiert.
Normenkette
BGB §§ 276, 278, 280, 611, 823; ZPO §§ 141, 286
Verfahrensgang
LG Mainz (Urteil vom 14.09.2011; Aktenzeichen 2 O 308/09) |
Tenor
1. Der Senat weist die Parteien darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung der Beklagten und Widerklägerin vom 19.10.2011 gegen das Urteil des LG Mainz vom 14.9.2011 einstimmig gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Die Beklagte und Widerklägerin erhält Gelegenheit, zu den Hinweisen des Senates bis zum 12.7.2012 Stellung zu nehmen. Die Rücknahme der Berufung wird empfohlen.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Vergütung für eine zahnärztliche Tätigkeit, während die Beklagte die Behandlung für fehlerhaft erachtet und widerklagend immateriellen Schadensersatz sowie die Feststellung der künftigen materiellen und immateriellen Schadensersatzpflicht verlangt. In der Berufungsinstanz wird widerklagend statt der Feststellung nunmehr Leistung vermeintlicher Nachbehandlungskosten verlangt.
Die Klägerin ist Fachärztin für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie und betreibt eine Zahnarztpraxis in X. Die Beklagte begab sich auf Anraten ihres behandelnden Zahnarztes, des Zeugen Dr. B., im Zeitraum vom 4.12.2003 bis zum 15.8.2005 in die Behandlung der Klägerin. Sie benötigte Ersatz für eine alte Brücke und strebte einen festsitzenden Zahnersatz an. Der Zeuge nannte der Beklagten die Möglichkeit einer Implantateinsetzung. Die Nachbehandlung sollte durch ihn erfolgen. Die Beklagte unterschrieb am 8.9.2004 die Einwilligung und füllte den Anamnese- bogen aus. Der Inhalt des Aufklärungsgespräches ist streitig. Am 4.11.2004 wurden der Beklagten alle drei die alte Brücke tragenden Zähne gezogen. Im Rahmen der Behandlung wurde der Kiefer operativ eröffnet, der Kieferhöhlenboden angehoben und Knochenersatzmaterial eingebracht (Sinuslift). Mit Datum vom 17.6.2005 führte die Klägerin erneut einen Sinuslift zur fachgerechten Einsetzung der Implantate durch und kontrollierte danach die weitere Entwicklung. Einen letzten Kontrolltermin nahm die Beklagte nicht mehr wahr, worauf die Klägerin am 15.8.2005 ihre Leistungen mit 2.298,22 EUR abrechnete. Ein Ausgleich erfolgte trotz dreier Mahnungen, für die die Klägerin weitere 15 EUR verlangt, nicht.
Die Klägerin trägt vor, sie habe die Beklagte über die verschiedenen Behandlungsalternativen, die Unterschiede in der Behandlung bei ihr und dem Zeugen Dr. B. sowie über den Eingriff, dessen Verlauf und mögliche Komplikationen ausführlich, ordnungsgemäß und mehrmals aufgeklärt. Das Ziehen der drei Zähne sei medizinisch notwendig gewesen. Die Schädigung sei so groß gewesen, dass ein Erhalt ausgeschlossen gewesen sei. Der Beklagten seien zwei Implantate im rechten Oberkiefer eingesetzt worden. Die Eingriffe und der sich anschließende Heilungsprozess seien ohne Komplikationen verlaufen. Der Beklagten seien keine, über das im Rahmen der Behandlung unvermeidliche Maß hinaus, Schmerzen zugefügt worden. Die Behandlung sei abgeschlossen. Die Beklagte habe trotz ausführlicher Aufklärung über den weiteren Ablauf des Vorgehens grundlos die Behandlung abgebrochen und dadurch selbst die endgültige Sanierung verhindert. Nachbehandlungskosten würden nicht entstehen. Die in Rechnung gestellten Positionen seien notwendig und angemessen.
Die Beklagte ist dem in erster Instanz umfassend entgegengetreten. Die Behandlung sei nicht abgeschlossen. Das Aufsetzen des Zahnersatzes und somit des Aufbauteils sei nicht durchgeführt worden. Die operative Eröffnung des Kiefers und der Stifteinsatz seien mangelhaft erfolgt, ihr seien Weichteilverletzungen und starke Schmerzen zugefügt worden. Die Klägerin habe statt einem drei Zähne gezogen, ohne dass die Notwendigkeit dieser Maßnahme nachgewiesen sei. Auch sei diesbezüglich eine Verlaufsaufklärung versäumt worden. Die Operatio...