Entscheidungsstichwort (Thema)

Zum entscheidungsrelevanten Streitstoff und zur gerichtlichen Sachaufklärungspflicht im Arzthaftungsprozess

 

Leitsatz (amtlich)

1. Auch im Arzthaftungsprozess lässt sich die Entscheidung erster Instanz nicht dadurch falsifizieren, dass mit der Berufung neuer Streitstoff in das Verfahren eingeführt wird.

2. Es ist zwar nicht generell unzulässig, sich im Arzthaftungsprozess auf ein lediglich mündlich eingeholtes und in indirekter Rede wiedergegebenes Privatgutachten zu stützen. Zwingend erforderlich ist aber die Darlegung, welcher medizinischen Fachrichtung der konsultierte Privatgutachter angehört, welche konkreten Fragen ihm von wem unterbreitet wurden und wie er sich im Einzelnen dazu geäußert hat.

 

Normenkette

ZPO § 138 Abs. 1, § 253 Abs. 2 Nr. 2, §§ 284, 286, 411-412, 520 Abs. 3, § 529 Abs. 1 Nr. 2, § 531 Abs. 2, § 533 Nr. 1; BGB §§ 276, 278, 280, 611

 

Verfahrensgang

BGH (Beschluss vom 20.01.2015; Aktenzeichen VI ZR 367/14)

LG Mainz (Urteil vom 28.01.2014; Aktenzeichen 2 O 175/12)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des LG Mainz vom 28.1.2014 wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das angefochtene Urteil und der Senatsbeschluss sind vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung der Beklagten durch Leistung einer Sicherheit von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, es sei denn, die Beklagte leistet entsprechende Sicherheit.

4. Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 21.873,82 EUR.

 

Gründe

I. Die Berufung ist aus den Erwägungen des Senatsbeschlusses vom 23.7.2014 unbegründet. Dort hat der Senat mitgeteilt:

" 1. Der Kläger begehrt als Erbe der am 20.11.1926 geborenen und am 14.6.2009 im beklagten Krankenhaus verstorbenen Olga S. (im Folgenden: Patientin) materiellen und immateriellen Schadensersatz.

Nach einem Sturz in ihrer Wohnung wurde die Patientin am 27.4.2009 in die stationäre Behandlung bei der Beklagten aufgenommen. Dort stellte man neben bereits bekannten multiplen internistischen Ausfällen und Beschwerden einen Dickdarmtumor fest, der am 19.5.2009 operativ entfernt wurde. Nach zunächst unauffälligem Verlauf trat ab dem dritten postoperativen Tag eine signifikante Verschlechterung bei auffälligen Blutwerten ein. Am 22.5.2009 sah man sich daher zu einem Revisionseingriff gezwungen. Hiernach verschlechterte sich der Zustand der Patientin kontinuierlich; sie verstarb am 14.6.2009 an einem Herzinfarkt.

Der Kläger hat der Behandlungsseite angelastet, vor dem Ersteingriff nicht über Komplikationen und Behandlungsalternativen aufgeklärt zu haben. Auch sei am 19.5.2009 durch einen vermeidbaren Fehler der Dünndarm perforiert worden.

Dem sind die Beklagten entgegengetreten. Der Eingriff am 19.5.2009 sei alternativlos gewesen, die Patientin hinreichend aufgeklärt worden. Bei der eingetretenen Komplikation handele es sich um ein typisches Risiko, das sich auch bei äußerster Sorgfalt nicht sicher vermeiden lasse.

2. Das LG, auf dessen Entscheidung zur weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird, hat Zeugen- und Sachverständigenbeweis erhoben, den Gutachter mündlich angehört und die Klage hiernach abgewiesen.

Ein ererbter vertraglicher oder deliktischer Schadensersatzanspruch stehe dem Kläger nicht zu. Die Operation vom 19.10.2009 sei indiziert und alternativlos gewesen. Dass es bei dem Eingriff zu einer Darmverletzung gekommen sei, belege keinen vorwerfbaren ärztlichen Fehler. Dass die Läsion nicht sofort intraoperativ erkannt und verschlossen worden sei, deute ebenfalls nicht auf mangelnde Sorgfalt. Auf die am dritten postoperativen Tag eingetretene Krise habe man sachgemäß reagiert. Die Zeugenbefragung des Arztes Benhard habe der Kammer auch die Gewissheit vermittelt, dass die Patientin insgesamt sachgemäß aufgeklärt worden sei. Sehe man bei der Risikoaufklärung (Gefahr des Herzinfarkts) gleichwohl ein Defizit, müsse insoweit von einer hypothetischen Einwilligung ausgegangen werden.

3. Mit seiner Berufung hält der Kläger an den erstinstanzlichen Anträgen fest. Er wiederholt, vertieft und ergänzt sein erstinstanzliches Vorbringen. Vor allem beanstandet er nunmehr die Durchführung des Revisionseingriffs am 22.5.2009 und die ärztliche Überwachung und Betreuung der Patientin in der Folgezeit. Wegen der Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung vom 28.5.2014 (Bl. 166 - 174 GA) verwiesen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe der Berufungs- erwiderung vom 18.7.2014 (Bl. 182 - 185 GA), auf die ebenfalls verwiesen wird.

4. Das Rechtsmittel ist aussichtslos. Das LG hat über den erstinstanzlichen Streitstoff fehlerfrei entschieden und die insoweit erhobene Klage zu Recht abgewiesen. Das angefochtene Urteil ist außergewöhnlich eingehend und sorgfältig begründet, weshalb der Senat statt Wiederholung auf die Erwägungen des LG Bezug nimmt. Die Berufung erhebt insoweit auch keine Beanstandungen, die geeignet sind, das angefochtene Urteil...

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