Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Arzthaftung für verzögerte Verlegung in ein Krankenhaus der Maximalversorgung bei unverändertem Krankheitsverlauf; gerichtliche Sachaufklärungspflicht im Arzthaftungsprozess bei mündlichem Privatgutachten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die verzögerte Verlegung eines Patienten mit transitorischer ischämischer Attacke (TIA) in eine Klinik der Maximalversorgung mit Stroke-Unit ist nicht haftungsrelevant, falls nach sachverständiger Einschätzung die dortige frühzeitigere Therapie keine andere gewesen wäre und den weiteren Verlauf auch nicht zugunsten des Patienten verändert hätte.

2. Die gesteigerte gerichtliche Sachaufklärungspflicht im Arzthaftungsprozess enthebt die Partei, die die Feststellungen und Schlussfolgerungen des gerichtlichen Sachverständigen mit einem mündlich erstatteten Privatgutachten angreift, nicht der Verpflichtung, zur fachärztlichen Qualifikation und zum beruflichen Werdegang des Privatgutachters vorzutragen, sofern beides nicht gerichtsbekannt ist oder sich aus allgemein zugänglichen Quellen (Internetseite etc.) erschließt. Ohne einen derartigen Vortrag erfordert das in indirekter Rede wiedergegebene telefonische Privatgutachten kein weiteres Gerichtsgutachten, wenn der Erstgutachter die Auffassung des Privatgutachters bereits bei einer mündlichen Anhörung überzeugend entkräftet hat.

 

Normenkette

BGB §§ 249, 253, 276, 280, 611; ZPO §§ 286, 411 Abs. 3, § 412

 

Verfahrensgang

LG Bad Kreuznach (Urteil vom 29.10.2014; Aktenzeichen 4 O 125/12)

 

Tenor

1. Die Berufung gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des LG Bad Kreuznach 29.10.2014 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

2. Das angefochtene Urteil und der Senatsbeschluss sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, es sei denn, die Beklagte leistet entsprechende Sicherheit.

3. Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 53.800 EUR.

 

Gründe

I. Die Berufung ist aus den Erwägungen des Senatsbeschlusses vom 6.1.2015 unbegründet. Dort hatte der Senat mitgeteilt:

1. Der am 27.8.1962 geborene Kläger nimmt das beklagte Krankenhaus auf Schmerzensgeldzahlung und Feststellung der Ersatzpflicht für materielle und künftige immaterielle Schäden in Anspruch. Außerdem möchte er Anwaltskosten der vorgerichtlichen Vertretung erstattet haben. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

In den Morgenstunden des 26.10.2011 kam es zu einem etwa zweiminütigen Ausfall der Motorik des linken Arms des Klägers. Er suchte die Notaufnahme des beklagten Krankenhauses auf, wo er 20 Minuten später gegenüber der Assistenzärztin den Verdacht eines Schlaganfalls äußerte.

Die klinische Untersuchung führte ebenso wenig zu einem auffälligen Ergebnis wie die Bildgebung und das Labor. Man nahm den Kläger unter der Verdachtsdiagnose TIA (Transitorische ischämische Attacke) in stationäre Behandlung.

Nachdem gegen 14.00 Uhr eine Taubheit der linken Hand und des linken Unterarms aufgetreten waren, veranlasste man ein Farbduplex- Echokardiogramm und eine Medikation.

Gegen 17.27 Uhr transportierte man den Kläger notfallmäßig in eine Klinik der Maximalversorgung, wo er bis zum 2.11.2011 in stationärer Behandlung verblieb. Man diagnostizierte eine Minderdurchblutung im Mediastromgebiet rechts.

Der Kläger wirft der Beklagten vor, gebotene weitere Untersuchungen, insbesondere eine MRT, versäumt zu haben. Statt stundenlangem untätigem Zuwarten sei die unverzügliche Verlegung in ein Krankenhaus mit Stroke - Unit erforderlich gewesen. Durch die Verzögerung sei das Zeitfenster für eine erfolgversprechende Lyse-Behandlung bei der Verlegung am Nachmittag bereits geschlossen gewesen. Daneben hätten die behandelnden Ärzte auch in haftungsrelevanter Weise Dokumentations- und Aufklärungspflichten verletzt. Infolge der Versäumnisse leide er unter Vergesslichkeit und Konzentrations- sowie Wortfindungsschwierigkeiten.

Die Beklagte ist dem entgegengetreten.

2. Das LG, auf dessen Entscheidung zur weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird, hat ein schriftliches neurologisches Sachverständigengutachten eingeholt und Privatdozent Dr. med. G. mündlich angehört, ergänzend schriftlich Stellung nehmen lassen und ein zweites Mal mündlich befragt.

Hiernach hat die Einzelrichterin die Klage mit der Begründung abgewiesen, dem beweisbelasteten Kläger sei der Nachweis eines Behandlungsfehlers nicht gelungen. Die angeblich versäumte unverzügliche Verlegung in eine Klinik mit Stroke - Unit sei nicht haftungsrelevant, weil eine derartige Verlegung dort keinerlei therapeutische Konsequenzen gehabt hätte. Die nach Lage der Dinge erforderlichen Befunde seien erhoben worden, eine MRT neben der durchgeführten CT nicht zwingend erforderlich gewesen. Man habe lediglich eine Blutung ausschließen müssen, wozu die CT gleichermaßen geeignet sei. Eine rekanalisierende Lyse - Therapie sei angesichts der relativ unspektakulären Symptomatik nicht erforderlich gewesen.

3. Mit seiner...

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