Leitsatz (amtlich)

Dass ein Minderjähriger ohne freiheitsbeschränkende Unterbringung ab Deliktsfähigkeit Ersatzansprüchen und dadurch verursachten Prozessen oder ab Strafmündigkeit Strafverfahren ausgesetzt sein kann, vermag ohne das Hinzutreten weiterer Umstände eine freiheitsentziehende Unterbringung i. S. d. § 1631b BGB nicht zu rechtfertigen. Die erforderliche erzieherische Einflussnahme kann nicht durch Einsperren in eine geschlossene Jugendhilfeeinrichtung, sondern nur durch das Erleben von Konsequenzen erreicht werden.

 

Normenkette

BGB § 1631b

 

Verfahrensgang

AG Bad Kreuznach (Aktenzeichen 91 F 7/19)

 

Tenor

1. Die Beschwerde des Jugendamtes gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Bad Kreuznach vom 04.10.2019, Aktenzeichen 91 F 7/19, wird zurückgewiesen.

2. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.

3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Betroffene zeigte mindestens seit Sommer 2018 massive Auffälligkeiten und war für ihre Mutter erzieherisch nicht mehr erreichbar. Die Mutter beantragte daher am 03.12.2018 mit Unterstützung ihres ehemaligen Lebensgefährten M. W. die geschlossene Unterbringung des Kindes nach § 1631b BGB.

Das Jugendamt befürwortete diese Maßnahme, da die Betroffene in der Vergangenheit bereits aus mehreren Jugendhilfeeinrichtungen weggelaufen und teils mehrere Wochen abgängig gewesen sei. Die Betroffene verweigere den Schulbesuch und habe bereits mit zwölf Jahren mit deutlich älteren Jungen geschlechtlich verkehrt. Dabei lege die Betroffene eine erstaunliche, auch kriminelle Energie an den Tag. So sei sie am 25.10.2018 nachts aus der Wohngruppe L. bei T. entwichen. Ein männlicher Anrufer habe vorgespiegelt, im Auftrage des Jugendamtes zu handeln und telefonisch für sie ein Taxi bestellt, welches sie zur Jugendhilfeeinrichtung E. in H. gefahren habe, wo ihr damaliger 17-jähriger Freund untergebracht war. Dies war jedoch weder mit den beteiligten Jugendhilfeeinrichtungen noch mit dem Jugendamt abgeklärt. Vielmehr hatten die Jugendhilfeeinrichtung in H. und das Jugendamt die Verlegung der Betroffenen in den Raum T. veranlasst, da sie sexuelle Kontakte zwischen der damals noch nicht einmal 14-jährigen und ihrem Freund nicht zulassen konnten, ohne sich selbst der Beihilfe zum sexuellen Missbrauch eines Kindes schuldig zu machen.

Aufgrund des öffentlichen Fahndungsdrucks kehrte die seit dem 05.12.2018 erneut abgängige Betroffene am 10.01.2019 in den Haushalt ihrer Mutter zurück und wurde von ihr in die R.-Fachklinik A. verbracht. Die dort angedachte stationäre Unterbringung wurde jedoch am 15.01.2019 beendet, da die behandelnden Ärzte keine psychiatrischen Auffälligkeiten bei der Betroffenen feststellen konnten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten 91 F 306/18 Amtsgericht - Familiengericht - Bad Kreuznach verwiesen.

Das Familiengericht bestellte der Betroffenen einen Verfahrensbeistand und ordnete sodann eine Begutachtung zu der Frage an, ob eine Unterbringung in einer geschlossenen Jugendhilfeeinrichtung erforderlich sei.

Die Betroffene rief daraufhin am 17.01.2019 den zuständigen Familienrichter an und gab diesem gegenüber an, bereits 16 Jahre alt zu sein. Sie habe Probleme mit ihrer Mutter und wolle daher bei deren früheren Lebensgefährten M. W., der wie ein Vater für sie sei, wohnen. Sexuell übergriffiges Verhalten des Herrn W. ihr gegenüber habe es in der Vergangenheit nicht gegeben, ihre Mutter habe sie insoweit zu Falschangaben veranlasst. Eine Unterbringung in einer Jugendhilfeeinrichtung lehnte die Betroffene in ihrer Anhörung am 24.01.2019 entschieden ab.

Auch nach der gerichtlichen Anhörung hielt die Betroffene sich nicht an ihre gegebene Zusage, bis zum Abschluss der Begutachtung im Haushalt der Mutter zu bleiben und die Schule zu besuchen, sondern war erneut und wiederholt abgängig. Dabei wurde sie u. a. in S. aufgegriffen. Ihr angebotene Jugendhilfemaßnahmen lehnte sie ab. Die Mutter wusste sich zeitweilig nicht anders zu helfen, als das Kind in ihrer Wohnung einzuschließen.

Die gerichtlich beauftragte Sachverständige M. Sc. Psychologie Dr. M. N. stellte in ihrer abschließenden Stellungnahme vom 17.04.2019 eine Kindeswohlgefährdung fest, die sich insbesondere aus Defiziten in der Erziehungseignung der Mutter ergebe. Die Mutter sei nicht in der Lage, konsequent zu handeln und der Betroffenen angemessene Grenzen zu setzen. Deren gemeinsam mit dem früheren Lebensgefährten verfassten Eingaben an das Gericht zeugten aus gutachterlicher Sicht in erster Line von Hilflosigkeit. Daher stelle auch der Wechsel in den Haushalt des Herrn W. keine geeignete Maßnahme dar, um dem in ihrem schriftlichen Gutachten vom 08.03.2019 aufgezeigten hohen erzieherischen Bedarf des Kindes gerecht zu werden. Ein Bedürfnis für eine geschlossene Unterbringung der Betroffenen gebe es aus psychiatrischer Sicht nicht, auch wenn...

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