Leitsatz (amtlich)
1. Die Regelung des § 124 Abs. 1 ZPO, wonach das Gericht die Bewilligung der Prozesskosten- bzw. Verfahrenskostenhilfe bei einem entsprechenden unredlichen Verhalten des Antragstellers aufheben soll, ist im Bewilligungsverfahren der Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe nicht analog anzuwenden.
2. Der Einsatz von Vermögen, welches auf Invaliditätsleistungen der privaten Unfallversicherung beruht, stellt grundsätzlich eine Härte im Sinne von §§ 113 Abs. 1 FamFG, 115 Abs. 3 S. 2 ZPO, 90 Abs. 3 S.1 SGB XII dar.
Normenkette
FamFG § 113 Abs. 1; SGB XII § 90 Abs. 3 S. 1; ZPO § 115 Abs. 3 S. 2, § 118 Abs. 2 S. 4, § 124 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Bernkastel-Kues (Beschluss vom 28.11.2018; Aktenzeichen 3b F 331/17) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Bernkastel-Kues vom 28. November 2018 in Gestalt der Nichtabhilfeentscheidung vom 31. Januar 2019 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung über den auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe gerichteten Antrag des Antragsgegners vom 3. Januar 2018 an das vorbezeichnete Amtsgericht - Familiengericht - zurückverwiesen.
Gründe
Die nach §§ 113 Abs. 1 FamFG, 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde, mit welcher sich der Antragsgegner gegen die Versagung von Verfahrenskostenhilfe für das in erster Instanz anhängige Stufenverfahren wendet, hat einen vorläufigen Erfolg.
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Der Einsatz von Vermögen, welches auf derartigen Leistungen [Anmerkung: Invaliditätszahlungen der privaten Unfallversicherung] - und nicht auf anderen Leistungen der privaten Unfallversicherung wie insbesondere Tagegeld, Krankenhaustagegeld oder Such-, Bergungs- und Rettungseinsatzleistungen - beruht, stellt aber grundsätzlich eine Härte im Sinne von §§ 113 Abs. 1 FamFG, 115 Abs. 3 Satz 2 ZPO, 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII dar. Soweit der Senat dies in seinem Beschluss vom 4. September 2018 - 9 WF 679/18 - noch anders gesehen hat, wird hieran nicht festgehalten.
Insoweit gilt es zu beachten, dass entsprechendes für solches Vermögen gilt, das auf einer Schmerzensgeldzahlung an den Hilfesuchenden beruht (vgl. BGH, NJW 2006, 1068, 1069, Rdnr. 13; BVerwG, NJW 1995, 3001, 3002; OLG Stuttgart, Beschluss vom 18. Juni 2007 - 18 WF 112/07 -, BeckRS 2007, 16253; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1992, 221, 221 f.; Musielak/Voit-Fischer, ZPO, a.a.O., § 115, Rdnr. 49, m.w.N.; MünchKomm-Wache, ZPO, 5. Aufl. 2016, § 115, Rdnr. 65, m.w.N.). Beim Schmerzensgeld stehen nämlich vor allem die schadensausgleichende Funktion und opferbezogene Merkmale wie Umfang und Dauer der Schmerzen, Entstellungen, Leiden und Eingriffe in das Leben des Opfers im Vordergrund (vgl. zu allem Vorstehenden BGH, a.aO., Rdnr. 15). Sein vorrangiger Zweck besteht darin, dem Geschädigten finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen, um die mit der Verletzung verbundenen Einbußen in seiner Lebensführung ausgleichen zu können (vgl. BGH, a.a.O., 1069 f., Rdnr. 16). Der Ausgleichsfunktion des Schmerzensgelds entspricht es, dass das Leben des Geschädigten dadurch in gewissem Umfang erleichtert werden soll. Bei einer mehr oder weniger weitgehenden Zerstörung der Persönlichkeit soll das Schmerzensgeld über die Möglichkeit des Zuteilwerdens von Annehmlichkeiten hinaus auch deren Verlust ausgleichen. Das alles ist nur gewährleistet, wenn das Opfer das Schmerzensgeld zur eigenen freien Verfügung behält und nicht für Verfahrenskosten oder seinen notwendigen Lebensunterhalt aufwenden muss (vgl. zu allem Vorstehenden BGH, a.aO., 1069, Rdnr. 15). All diese Erwägungen treffen auf die hier in Rede stehenden Invaliditätsleistungen gleichermaßen zu.
Während die AUB 61 Invalidität noch als eine unfallbedingte dauernde Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit definierte, hat es sich im Laufe der Zeit als notwendig erwiesen, den Invaliditätsbegriff dem Umstand anzupassen, dass die Unfallversicherung nach modernem Verständnis einen Ausgleich für die aufgrund eines Unfallereignisses erlittenen Nachteile im gesamten Bereich des menschlichen Daseins bieten soll (vgl. Mangen in: Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2015, § 47, Rdnr. 154). Deshalb wird seit den AUB 88 unter Invalidität nur noch die durch einen Unfall bedingte dauerhafte Beeinträchtigung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit verstanden (vgl. Langheid/Wandt-Dörner, Münchner Kommentar zum VVG, 2. Aufl. 2017, § 180, Rdnr. 2; Mangen, a.a.O.; Grimm, Unfallversicherung, AUB 2010 Ziffer 2., Rdnr. 2). Die Invaliditätsleistung dient also gerade nicht mehr dazu, unfallbedingt erlittene Einkommensverluste auszugleichen. Der geltende Invaliditätsbegriff trägt vielmehr dem Gedanken Rechnung, dass Dauerfolgen eines Unfalles den ganzen Bereich menschlichen Daseins und nicht nur den immer schmaler werdenden Ausschnitt der Arbeitswelt berühren und dass gerade im ständig steigenden Freizeitanteil mit seinen vielfältigen Beschäftigungsmöglichkeiten Beeinträchtigung...