Entscheidungsstichwort (Thema)
Reichweite der Beweislastumkehr nach grobem Fehler eines Arztes
Leitsatz (amtlich)
1. Ein grober Behandlungsfehler führt auch dann zur Umkehr der Beweislast für den Ursachenzusammenhang, wenn er die eingetretene Schädigung nur zusammen mit einer bereits vorhandenen anderen, der Behandlungsseite nicht anzulastenden Ursache herbeizuführen geeignet ist (hier: wiederholte Ovarialzysten nach versäumter Antibiotikatherapie).
2. Beweiserleichterungen bis zur Umkehr der Beweislast sind nach einem groben Behandlungsfehler erst dann ausgeschlossen, wenn jeglicher haftungsbegründende Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich ist
Normenkette
BGB §§ 276, 278, 611, 823, 847; ZPO §§ 286-287
Verfahrensgang
LG Bad Kreuznach (Aktenzeichen 2 O 122/03) |
Tenor
In Sachen ... weist der 5. Zivilsenat des OLG Koblenz die Beklagten darauf hin, dass beabsichtigt ist, ihre Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen (§ 522 Abs. 2 ZPO).
Gründe
Die Berufung ist ohne Aussicht auf Erfolg. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das LG der Klage teilweise stattgegeben. Was die Berufung dagegen vorbringt, ist nicht stichhaltig.
Dass dem Erstbeklagten ein grober Fehler bei der Behandlung der Klägerin unterlaufen ist, steht fest aufgrund des Beweisergebnisses erster Instanz und wird von der Berufung auch nicht angegriffen.
Zu Recht ist das LG daher von einer Beweislastumkehr hinsichtlich des Weiteren Kausalverlaufs ausgegangen. Die von der Einzelrichterin angenommene Reichweite dieser Beweislastumkehr zieht die Berufung ohne Erfolg in Zweifel.
Zu dem von der Berufung postulierten Ausschluss der Beweislastumkehr für den gesamten Kausalzusammenhang kommt es nicht schon dann, wenn die Alleinverursachung äußerst unwahrscheinlich ist. Erst wenn jeglicher Ursachenbeitrag äußerst unwahrscheinlich ist, greift die Beweislastumkehr nicht mehr. Die bloße Mitursächlichkeit genügt, um dem beklagten Arzt den gesamten Schaden zuzurechnen, wenn nicht feststeht, dass sein Versäumnis nur zu einem abgrenzbaren Teil des Schadens geführt hat.
Grobe Behandlungsfehler können auch dann zur Umkehr der Beweislast führen, wenn sie die eingetretene Schädigung nur zusammen mit einer (bereits vorhandenen) anderen, der Behandlungsseite nicht anzulastenden Ursache herbeizuführen geeignet sind. Beweiserleichterungen bis zu einer Beweispflicht der Behandlungsseite sind der Ausgleich dafür, dass diese durch ihr fehlerhaftes Vorgehen das Spektrum der möglichen Schadensursachen erweitert und so eine Sachlage herbeigeführt hat, die nicht mehr erkennen lässt, ob das ärztliche Versagen oder eine andere Ursache den schädigenden Erfolg herbeigeführt hat. Die Aufklärung des Behandlungsgeschehens ist dann in besonderer Weise erschwert worden. In einem solchen Fall kann der Arzt nach Treu und Glauben dem Patienten den (vollen) Kausalitätsbeweis nicht mehr zumuten. Das ist auch dann der Fall, wenn die Handlung des Schädigers den Schaden nicht abgrenzbar allein, sondern nur zusammen mit einer anderen Ursache (hier: der besonderen Befindlichkeit der Patientin) herbeigeführt hat (sog. Gesamtkausalität - vgl. BGH NJW 1990, 2882, 2884 unter I.3.). Deshalb ist es gerechtfertigt, in diesen Fällen nicht abgrenzbarer Ursachenzusammenhänge die allgemein für das Arzthaftungsrecht bei Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers entwickelten Regeln für Beweiserleichterungen bis zur Umkehr der Beweislast anzuwenden.
Das LG hat - gestützt auf das mündliche Gutachten des Sachverständigen K. - festgestellt, dass das Versäumnis des Erstbeklagten den Umständen nach geeignet war, zum Erfordernis des zeitnahen Zweiteingriffs beizutragen. Das ist ausreichend. Darauf, ob ein bestimmter Verlauf nahe liegend ist, kommt es nicht an (vgl. BGH VersR 1988, 721, 722 unter II. 2.). Beweiserleichterungen bis zur Umkehr der Beweislast sind erst dann ausgeschlossen, wenn ein jeglicher haftungsbegründender Ursachenzusammenhang "äußerst unwahrscheinlich" ist (vgl. BGHZ 85, 212, 216 f. und BGH VersR 1989, 80, 81 sowie VersR 1994, 52, 53).
Der gerichtliche Sachverständige hat bei seiner mündlichen Anhörung u.a. erklärt:
"Im Hinblick auf die zweite Operation muss ich nochmals erklären, dass es nicht gänzlich auszuschließen ist, dass die verspätet eingeleitete Antibiotikatherapie die Ursache für die zweite Operation gewesen ist."
Das trägt angesichts der dargestellten Rechtsprechungsgrundsätze ohne weiteres die Verurteilung des Erstbeklagten.
Zur Haftung des Zweitbeklagten enthält das angefochtene Urteil keine näheren Ausführungen. Indes ist die angefochtene Entscheidung auch insoweit nicht zu beanstanden. Zur Begründung verweist der Senat auf sein in MedR 2005, 294-296 abgedrucktes Urteil vom 17.2.2005 (5 U 349/04).
Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung. Ebenso wenig erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts.
Fundstellen
Haufe-Index 1813006 |
NJW-RR 2008, 541 |
ArztR 2008, 191 |
MedR 2008, 43 |
VersR ... |