Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Arzthaftung nach zweistufiger Augen-OP und Nierentransplantation 14 Tage später, die ihrerseits zu exsudativen Netzhautablösungen mit Erblindung führt; zum Erfordernis der mündlichen Verhandlung in einer Arzthaftungssache von "existentieller Bedeutung"

 

Leitsatz (amtlich)

1. Es kann sachgemäß sein, einer Netzhautablösung zunächst mit einer Kryokoagulation und der Anbringung einer Cerclage zu begegnen und eine Vitrektomie erst dann anzugehen, wenn der Primäreingriff nicht zu einem befriedigenden Ergebnis führt. Zur ärztlichen Aufklärungspflicht in einem derartigen Fall.

2. Aus einer völlig vereinzelt in der Literatur beschriebenen Erblindung nach Nierentransplantation ließ sich zumindest im Jahr 2002 kein signifikanter Zusammenhang mit dem Eingriff ableiten. Wird über ein durchweg unbekanntes Risiko, das der Behandlungsseite im Zeitpunkt des Eingriffs nicht geläufig sein musste, nicht aufgeklärt, schließt das einen Verschuldensvorwurf gegen den Arzt aus.

3. Eine Sache von "existentieller Bedeutung" mit zwingend gebotener mündlicher Berufungsverhandlung im Sinne der Bundestagsdrucksache 17/6406, Seite 11 ist in einer Arzthaftungssache nicht schon deshalb gegeben, weil eine besonders gravierende, indes vom Arzt nicht zu vertretende Komplikation eingetreten ist (hier: Erblindung nach Nierentransplantation).

4. Bei einer Partei mit Migrationshintergrund ist eine mündliche Berufungsverhandlung auch nicht zur Erforschung des Sprachverständnisses zum Zeitpunkt des ärztlichen Aufklärungsgesprächs erforderlich, wenn Verständigungsprobleme erstmals in zweiter Instanz behauptet werden und daher nach § 531 Abs. 2 ZPO prozessual unbeachtlich sind (Ergänzung zu OLG München, Beschluss vom 16. Februar 2012, Az: 1 U 4433/11).

 

Normenkette

ZPO § 522 Abs. 2; BGB §§ 253, 276, 278, 280, 611, 823, 831

 

Verfahrensgang

LG Mainz (Entscheidung vom 26.07.2011; Aktenzeichen 2 O 41/08)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 26.07.2011 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Dieses Urteil und der hiesige Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die gegen ihn gerichtete Vollstreckung jedoch durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht von der Gegenseite Sicherheit in entsprechender Höhe gestellt wird.

 

Gründe

1. Die Entscheidung ergibt sich aus §§ 522 Abs. 2, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Wegen ihrer tatsächlichen Grundlagen wird auf die Sachverhaltsdarstellung in dem angefochtenen Urteil und in dem Senatsbeschluss vom 15. Februar 2012 Bezug genommen. Dort hat der Senat seine Absicht, nach § 522 Abs. 2 ZPO zu entscheiden, wie folgt erläutert:

"I. Der Kläger, der ausländischer Herkunft ist und 1988 im Alter von 24 Jahren nach Deutschland kam, war seit 1999 dialysepflichtig. Da ihm ein Neffe eine Organspende zugesagt hatte, traf er Vorbereitungen für eine Nierentransplantation, die plangemäß am 16.07.2002 in der Urologischen Klinik der Beklagten durchgeführt wurde.

Zuvor war er am 26.06.2002 in der Augenklinik der Beklagten aufgenommen worden, nachdem man andernorts linksseitig eine lochbedingte Netzhautablösung (rhegmatogene Retinopathie) diagnostiziert hatte. Am Folgetag erfolgte unter Lokalanästhesie eine Kryokoagulation; außerdem nähte man von außen eine Cerclage auf, um möglichen die Retina lockernden Kontraktionen im Innern zu begegnen. Als das zu keinem befriedigenden Ergebnis führte, schloss man am 2.07.2002 eine von einer Laserbehandlung begleitende Vitrektomie mit anschließender Einbringung einer Silikonöltamponade an. Über diese Maßnahme war der Kläger bereits am Aufnahmetag mit Blickrichtung auf den Operationstermin vom 27.06.2002 aufgeklärt worden. Man erachtete sie dann aber aufgrund der perioperativ vorgefundenen Verhältnisse für jedenfalls zunächst verzichtbar. Ob die gewählte Vorgehensweise mit dem Kläger erörtert wurde, ist im Streit.

Nach der Nierentransplantation kam es unter der Gabe von Immunsuppressiva zu einer deutlichen Verschlechterung der Sehfähigkeit. Ihr konnte durch den Ersatz der Linse am linken Auge, der wegen der mit der Vitrektomie verbundenen Eintrübung erforderlich geworden war, nicht abgeholfen werden. Ursache war nämlich eine exsudative Netzhautablösung (seröse Retinopathie), die sich an beiden Augen vollzog. In ihrem Verlauf erblindete der Kläger nahezu vollständig.

Vor diesem Hintergrund hat er die Beklagte auf ein mit mindestens 90.000 € zu bezifferndes Schmerzensgeld, eine im Wesentlichen zum Ausgleich eines Haushaltsführungsschadens bestimmte materielle Ersatzleistung von 98.641,80 € und die Deckung vorgerichtlicher Anwaltskosten von 5.777,45 € in Anspruch genommen. Daneben hat er die Feststellung deren weitergehender Ersatzpflicht beantragt.

Das Begehren ist auf den Vorwurf einer nicht sachgerechten Behandlung der lochbedingten Netzhautablösung, die richtigerweise statt zweistufig in einem operativen Schritt hätte erfolgen müssen, der Ve...

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