Entscheidungsstichwort (Thema)
Tierarzthaftung, Darlegungslast und Beweismaß für groben Behandlungsfehler
Leitsatz (amtlich)
1. Ob ein grober Fehler eines Tierarztes zu einer Beweiserleichterung bis hin zur Beweislastumkehr führt, kann offen bleiben, wenn dem Behandler nach sachverständiger Einschätzung kein derartiger Fehler unterlaufen ist.
2. Beweispflichtig für die tatsächlichen Umstände, aus denen sich ein grober Behandlungsfehler ergeben soll, ist der Auftraggeber des Tierarztes (hier: Kastration eines Hengstes unter nicht sterilen Bedingungen sowie telefonische Ferndiagnose ohne Untersuchung des Tiers).
Normenkette
BGB §§ 249, 276, 280, 611; ZPO §§ 138-139, 286
Verfahrensgang
LG Trier (Aktenzeichen 4 O 351/12) |
Gründe
1. Der Kläger ist Pferdezüchter. Er lastet dem beklagten Tierarzt an, die am 20.10.2012 erfolgte Kastration eines Hengstes fehlerhaft vorgenommen zu haben. Die "bedeckte Kastration" am liegenden und narkotisierten Pferd erfolgte in einem "Round Pen", dessen sandiger Untergrund mit Kot und Urin durchfeuchtet war. Der Beklagte trug bei der Kastration des Pferdes keine Handschuhe. Die Operationsinstrumente hatte er nach vorangegangener Kastration eines anderen Pferdes in lauwarmem Wasser abgewaschen, aber nicht desinfiziert. Nach dem Eingriff überreichte der Beklagte ein Medikament für das Pferd. Welche Anweisungen der Beklagte zur Verwendung des Medikamentes erteilte, ist streitig.
Am 29.10.2012 trat aus der zunächst verklebten Operationswunde Sekret aus. Telefonisch konsultiert meinte der Beklagte, das bewirke eine Wundreinigung von innen, sie von außen zu desinfizieren sei nicht erforderlich.
Mitte November 2012 trat Fieber zwischen 40 ° und 46,7 ° auf; die Kosten der anschließenden anderweitigen tierärztlichen Behandlung sind Gegenstand der Klage.
Das sachverständig beratene LG hat dem Kläger statt der beanspruchten 8.319,51 EUR lediglich 1.912,61 EUR zugesprochen. Den zu beachtenden Hygienestandard habe der Beklagte grob fehlerhaft nicht eingehalten. Gleichermaßen grob fehlerhaft sei die telefonische Ferndiagnose am 29.10.2012 ohne Untersuchung des Tiers gewesen. Gleichwohl seien nicht alle eingeklagten Schäden zu ersetzen.
Mit der Berufung macht der Kläger die vom LG aberkannten Schadenspositionen geltend.
Der Senat beabsichtigt, nach § 522 Abs. 2 ZPO zu verfahren. Das LG ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Schadensursächlichkeit des Verhaltens des Beklagten nicht feststeht; das entspricht den Erkenntnissen des Sachverständigen Prof. Dr. G. und gibt keine Veranlassung zu rechtserheblichen Zweifeln.
Eine Haftung des Beklagten kommt daher nur dann in Betracht, wenn man in der - offenen - Kausalitätsfrage eine Umkehr der Beweislast annimmt. Das hat das LG getan, indem es die für das Arztrecht geltende Regel, ein grober Behandlungsfehler begründe die Vermutung des Ursachenzusammenhangs zwischen der Behandlung und dem Schaden, auf den tierärztlichen Bereich übertragen hat (ebenso OLG Frankfurt in NJW-RR 2011, 1246 und OLG Hamm in OLGReport Hamm 2004, 62 - 67; anderer Ansicht OLG Koblenz - 10. Zivilsenat - in OLGReport Koblenz 2009, 519).
Auch wenn man der von den OLG Hamm und Frankfurt vertretenen Rechtsansicht folgt, ergibt sich daraus im vorliegenden Streitfall keine Einstandspflicht des Beklagten:
a) Ihm gegenüber stehen zwei Vorwürfe im Raum:
aa) Der erste Vorwurf ist, das Pferd unter hochgradig unhygienischen Verhältnissen, die namentlich in dem matschigen und mit Kot- und Urin verkeimten Round Pen begründet waren, kastriert zu haben. Dazu hat der Sachverständige Prof. Dr. G. ausgeführt:
"Wenn kein geeigneter Ort vorhanden war, hätte zumindest ... auf die ungünstigen Bedingungen ... und die Möglichkeit einer Klinikverbringung hingewiesen werden müssen. Wenn dies ... abgelehnt worden wäre, hätte die Operation unter den Bedingungen wie geschildert ... vorgenommen werden können." (Gutachten vom 17.5.2013)...
Wäre hinsichtlich der Operationsbedingungen auf dem Round Pen ein Hinweis an den Eigentümer erfolgt und hätte dieser auf der Operation bestanden, hätte man wohl nicht ablehnen müssen ... Ich halte die Operation unter den vorhandenen Bedingungen auf dem Round Pen nicht für grundsätzlich falsch, meine aber, dass hier eine entsprechende Aufklärung über das bestehende Infektionsrisiko hätte vorausgehen müssen." (Anhörung vom 17.3.2014, Protokoll S. 3) Dazu hat der Beklagte vorgetragen, er habe unter Hinweis auf Hygienegesichtspunkte einen anderen Operationsort als den Round Pen angemahnt, ohne dass dies jedoch Resonanz gefunden habe.
Das ist unwiderlegt; das Gegenteil ist nicht einmal unter Beweis gestellt worden.
Es kann auf sich beruhen, ob sich im Hinblick darauf überhaupt ein Fehler des Beklagten bejahen lässt. Jedenfalls verbietet sich die Annahme eines groben Fehlers.
bb) Der zweite Vorwurf des Klägers liegt darin, dass der Beklagte der Bitte vom 29.10.2011, eine Nachschau vorzunehmen, keine Folge geleistet habe. Insoweit hat Prof. Dr. G. mitgeteilt, eine Nachschau sei zeitnah angezeigt gewese...