Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Diagnosefehler oder Befunderhebungsversäumnis des Gynäkologen und des hinzugezogenen Radiologen bei unterlassener Biopsie nach lediglich kontrollbedürftigem Brustbefund
Leitsatz (amtlich)
1. Eine risikobehaftete invasive diagnostischen Maßnahme (hier: Biopsie der Brustdrüse) erfordert neben einem abklärungsbedürftigen Verdacht eine Güterabwägung zwischen der diagnostischen Aussagefähigkeit, den Aufklärungsbedürfnissen und den besonderen Risiken für die Patientin.
2. Ein Gynäkologe darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass die Diagnose, die Risikoeinschätzung und die für eine Nachkontrolle veranschlagte Zeitspanne des von ihm als Sonderfachmann zugezogenen Radiologen zutreffen.
3. Die gesteigerte gerichtliche Aufklärungspflicht im Arzthaftungsprozess enthebt den Patient nicht der Verpflichtung, die ihm zugänglichen Krankenunterlagen rechtzeitig zu beschaffen und dem Gericht vorzulegen.
4. Der Arzt ist nicht verpflichtet jede Teiluntersuchung, die keinerlei medizinisch relevanten Befund ergeben hat, zu dokumentieren. Auch muss die Dokumentation nicht aus sich heraus für jeden beliebigen Dritten verständlich und nachvollziehbar sein.
5. Setzt der Erbe des Patienten dessen Arzthaftungsprozess fort, sind in der Regel sämtliche Ansprüche bezifferbar. Eine gleichwohl beibehaltene Feststellungsklage ist daher unzulässig.
Normenkette
BGB §§ 253, 276, 278, 280, 611, 823, 831; ZPO §§ 420, 428
Verfahrensgang
LG Koblenz (Aktenzeichen 10 O 231/09) |
Tenor
1. Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 10. Zivilkammer des LG Koblenz, 10 O 231/09, durch einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zurückzuweisen.
2. Der Klägerin wird Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem nachfolgenden Hinweis bis zum 21.12.2011 gegeben.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt als Alleinerbin ihrer verstorbenen Mutter, Frau Ruth R. (nachfolgend: Patientin), von den Beklagten die Zahlung von ererbtem immateriellen Schadensersatz und die Feststellung der materiellen vergangenen, gegenwärtigen und künftigen Schadensersatzverpflichtung aufgrund behaupteter ärztlicher Behandlungsfehler im Zusammenhang mit einer Brustkrebserkrankung der Patientin.
Die Patientin befand sich im Zeitraum von Mai 2006 bis Januar 2007 in der Behandlung des Beklagten zu 1) als Facharzt für Frauenheilkunde, sowie in der Behandlung der Beklagten zu 2) als Fachärztin für radiologische Diagnostik. Die Beklagte zu 3) betreibt eine Gemeinschaftspraxis mit der Beklagten zu 2).
Anfang Mai 2006 ertastete die seinerzeit 50-jährige Patientin einen Knoten in ihrer rechten Brust, worauf sie am 05.05.2006 den Beklagten zu 1) aufsuchte. Diesem war bekannt, dass die Mutter der Patientin an einem Mammakarzinom gestorben war. Der Beklagte zu 1) ertastete bei seiner Untersuchung ebenfalls einen Knoten in der rechten Brust und stellte eine abklärungsbedürftige unklare Verdichtung fest.
Daraufhin überwies er die Patientin zur Durchführung einer Mammographie und Mammasonographie an die Beklagte zu 2), die die Untersuchungen am 23.05.2006 durchführte und zugleich eine Ultraschall- und klinische Untersuchung vornahm. Im Arztbrief stellte sie "unklare Strukturen" dar und empfahl eine mammographische Kontrolle in sechs Monaten. Sie klassifizierte den von ihr erhobenen Befund nach BI-RADS III, worüber der Beklagte zu 1) die Patientin informierte und ihr die Kontrollnotwendigkeit im November 2006 verdeutlichte.
Am 07.12.2006 kam es zur Kontrollmammographie durch die Beklagte zu 2). Diese ergab erneut einen unklaren Befund, eine wesentliche Veränderung gegenüber der Untersuchung vom Mai 2006 war mit Ausnahme einer Mamilleneinziehung der rechten Brust nicht feststellbar. Nunmehr empfahl die Beklagte eine kernspintomographische Abklärung beider Mammae. Nachdem die Patientin zunächst am 14.12.2006 bei dem Beklagten zu 1) erschienen war, überwies er sie - nach seinem Vortrag nach anfänglichen Problemen bezüglich der Kostenübernahme durch die Krankenkasse - am 10.01.2007 zur MRT-Untersuchung. Daraufhin begab sich die Patientin noch am 10.01.2007 in das M. Klinikum in B.. Die dort durchgeführte Diagnostik ergab ein sehr aggressives, schnell wachsendes Mammakarzinom. Daraufhin wurde umgehend eine Chemotherapie eingeleitet, ohne dass eine Reduktion des Tumors erreicht werden konnte. Wegen des weiteren Krankheitsverlaufes wird auf die Darstellung im angefochtenen Urteil verwiesen.
Nachdem die Patientin zunächst ein Schlichtungsverfahren eingeleitet hatte, nahm sie von dessen Durchführung wieder Abstand und schaltete den MDK ein, der am 7.10.2008 ein Gutachten erstellte. Die Patientin starb nach der Klageerhebung am 29.12.2009 und wurde von ihrer Tochter - der nunmehrigen Klägerin - allein beerbt.
Die Klägerin meint, die von der Beklagten zu 2) durchgeführte Mammographie sei nicht lege artis erfolgt. Sie habe eine falsche Diagnose gestellt. Fehlerhaft sei die Empfehlung einer Kontrolluntersuchung in sechs Monaten gewesen....