Entscheidungsstichwort (Thema)
Ärztliche Aufklärungspflicht und Beweisanforderungen an deren Erfüllung
Leitsatz (amtlich)
1. Eine formularmäßige, ganz allgemein gefasste Einverständniserklärung des Patienten ist bei einem Eingriff mit erheblichen Risiken (hier: Entfernung einer in das Perineum eingelagerten Vaginalzyste) in der Regel unzureichend. Die Unterzeichnung derartiger Formulare für sich allein beweist noch nicht, dass der Patient sie gelesen und verstanden hat, geschweige denn, dass der Inhalt mit ihm erörtert wurde.
2. Das erforderliche ärztliche Aufklärungsgespräch und sein Inhalt können in einem derartigen Fall durch Parteianhörung des aufklärenden Arztes unter Gegenüberstellung mit dem Patienten nachgewiesen werden, wenn ein zureichender Anhalt dafür besteht, dass die Sachdarstellung des Arztes zutrifft. Außerdem kommt eine von Amts wegen vorzunehmende Parteivernehmung des Arztes in Betracht, um letzte Zweifel auszuräumen.
3. Operationsrisiken müssen dem Patienten nicht in allen medizinischen Einzelheiten, sondern nur in ihrem Kern dargestellt werden, damit die Gefahrenlage hinreichend verdeutlicht ist.
Normenkette
BGB §§ 276, 611, 823, 847; ZPO §§ 141, 286, 445, 448
Verfahrensgang
LG Koblenz (Aktenzeichen 10 O 52/06) |
Tenor
In dem Rechtsstreit ... wegen Arzthaftung ist beabsichtigt, die Berufung der Klägerin durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.
Gründe
Das Rechtsmittel hat keine Erfolgsaussicht (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO). Dabei ist zur Sach- und Rechtslage zu bemerken:
1. Der Beklagte ist Gynäkologe. Er operierte die Klägerin am 7.7.2003 als Belegarzt. Zum einen entfernte er eine Vaginalzyste, die in das Perineum eingelagert war; zum anderen korrigierte er eine zur Scheide weisende Rectocele.
Nachdem die Klägerin am 11.7.2003 aus der stationären Behandlung entlassen worden war, trat alsbald Kot in die Vagina ein. Daraufhin nahm der Beklagte am 18.7.2003 einen Revisionseingriff vor. Es zeigte sich, dass eine Darm-Scheiden-Fistel entstanden war.
Die Klägerin ließ die Fistel am 22.8.2003 in einer Klinik beseitigen. Im Folgejahr kam es zu weiteren stationären Aufnahmen, weil sich zunächst der Bauchraum entzündet hatte und sich später eine Thrombose sowie Embolien entwickelten. Die Klägerin hat diese Geschehnisse in Zusammenhang mit der Fistelbildung gebracht, für die aus ihrer Sicht der Beklagte die Verantwortung trägt. Dieser habe nämlich bei der Entfernung der Vaginalzyste falsch geschnitten und die Rectumwand beschädigt.
Außerdem treffe ihn ein Aufklärungsversäumnis, weil er nicht auf entsprechende Operationsrisiken hingewiesen habe.
Daraus hat die Klägerin einen mit 20.000 EUR bezifferten Schmerzensgeldanspruch und einen materiellen Schadensersatzanspruch hergeleitet, dessen Höhe sie mit 3.067,32 EUR angegeben hat.
Der Beklagte hat operative Fehler bestritten und als mögliche Ursachen der Fistelbildung eine genetische Disposition oder eine nutritive Durchblutungsstörung genannt. Unabhängig davon habe er die Klägerin über Verletzungsgefahren aufgeklärt.
Die mögliche Haftung des Beklagten war Gegenstand zweier Gutachten, die in einem von der Klägerin eingeleiteten selbständigen Beweisverfahren eingeholt worden waren. Das LG hat den damals tätigen Sachverständigen ergänzend befragt und außerdem den Beklagten als Partei vernommen und die Klägerin angehört. Sodann hat es die Klage abgewiesen. Aus seiner Sicht hat der Beklagte weder mangelhaft operiert noch unzulänglich aufgeklärt.
Diese Entscheidung greift die Klägerin mit der Berufung an. Sie erneuert ihr erstinstanzliches Verlangen, wobei sie als angemessenes Schmerzensgeld nunmehr einen Betrag von 22.500 EUR in den Raum stellt. Ihre Ansicht nach tragen der Parteivortrag und das Ergebnis der Beweisaufnahme das angefochtene Urteil nicht.
2. Mit ihren Angriffen vermag die Klägerin nicht durchzudringen. Die Entscheidung des LG hat Bestand.
a) Allerdings muss angenommen werden, dass der Eingriff, den der Beklagte am 7.7.2003 vornahm, eine Schädigung der Klägerin nach sich zog. Der Sachverständige S. hat das im Hinblick auf die postoperative Fistelbildung deutlich gesagt; diesbezüglich hat er einen Kausalzusammenhang von "an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" hergestellt. Daraus ergibt sich jedoch nicht ohne weiteres eine Ersatzhaftung des Beklagten. Voraussetzung dafür ist vielmehr grundsätzlich, dass die Schadensursache in einem vorwerfbaren ärztlichen Fehler des Beklagten gesehen werden kann. Das lässt sich nicht mit der gebotenen Gewissheit feststellen.
Das Vorbringen der Klägerin, der Beklagte habe vermeidbar in das Rectum eingeschnitten, als er die benachbarte Vaginalzyste abgelöst habe, und so entweder sogleich einen Durchstich gemacht oder aber einen nekrotischen Prozess ausgelöst, beschreibt nur eine Verursachungsalternative. Genauso plausibel ist indessen eine postoperative Perforation aufgrund einer Wundheilungsstörung an der Ablations-stelle, einer lokalen Infektion oder einer nutritiven Störung. Das hat der Sachverständige S. mitgeteilt. ...