Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Abgrenzung eines Diagnosefehlers zum Befunderhebungsversäumnis bei Vaginalfistel mit Verbindung zum Rektum
Leitsatz (amtlich)
Hat der Chirurg vor Entfernung einer Vaginalfistel von einer sinnvollen, aber nicht hinreichend verlässlichen Untersuchung abgesehen (hier: Proktoskopie) und stattdessen eine aussagekräftige Bildgebung (hier: MRT) veranlasst und außerdem unter der Operation durch Blaufüllung eine Fistelverbindung zum Enddarm ausgeschlossen, lässt sich der Vorwurf eines zur Beweislastumkehr führenden Befunderhebungsversäumnisses nicht auf die unterbliebene Proktoskopie stützen.
Normenkette
BGB §§ 249, 253, 276, 280, 611, 823
Verfahrensgang
LG Mainz (Urteil vom 08.11.2013; Aktenzeichen 2 O 208/11) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LG Mainz vom 8.11.2013 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Beklagte Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Wegen einer "Fistelbildung nach zweimaliger Bartholinischer Zystenentfernung" wurde die Klägerin vom 27.7.2009 bis zum März 2010 im Krankenhaus der Beklagten, dort überwiegend von Prof. Dr. X, operativ (am 6.8.2009 und am 5.11.2009), stationär und ambulant behandelt.
Nach einem anderenorts im August 2010 durchgeführten plastischen Fistelverschluss gelang die Ausheilung des entzündlichen Geschehens im Laufe des Jahres 2011.
Die Klägerin hat in erster Instanz den für die Beklagte handelnden Personen, insbesondere Prof. Dr. X, vorgeworfen, keine dem medizinischen Standard genügende Fisteldiagnostik betrieben zu haben. Wären die notwendigen Untersuchungen, ein Becken-MRT, eine Endosonographie und eine Proktoskopie durchgeführt worden, wäre die innere Öffnung der Fistel zum Rektum hin erkannt worden. Infolge dieser Versäumnisse habe sie bis ins Jahr 2011 hin unter lang andauernden physischen und psychischen Beeinträchtigungen gelitten. Sie hat deshalb, jeweils zu verzinsende, immaterielle (15.000 EUR) und materielle Schäden (26.552,11 EUR), die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten und die Feststellung einer weiteren Ersatzpflicht der Beklagten begehrt (Anträge 09, 172, 306, 325 GA).
Das LG hat, zweifach sachverständig beraten, die Klage abgewiesen und ausgeführt, dass weder den Mitarbeitern der Beklagten noch Prof. Dr. X Behandlungsfehler vorzuwerfen seien. Prof. Dr. X habe sich zu Recht auf die andernorts durchgeführte MRT-Untersuchung sowie seine eigenen Befunderhebungen verlassen. Dementsprechend habe er nicht davon ausgehen müssen, dass eine durchgängige Verbindung zwischen der Vagina und dem Rektum vorhanden gewesen sei.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihr erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt, ihr Vorbringen vertieft und ergänzt (Antrag vom 31.1.2014, 350 GA).
Das LG habe sich nicht genügend mit dem von ihr privat eingeholten Gutachten des Sachverständigen Dr. Kr. auseinandergesetzt. Vor der ersten Operation am 6.8.2009 sei die Durchführung einer Proktoskopie erforderlich gewesen, die der Privatsachverständige als "Goldstandard" bezeichnet habe. Bei einer solchen Untersuchung durch einen erfahrenen Proktologen wäre festgestellt worden, dass der Fistelgang das Rektum erreicht habe. Ebenso fehlerhaft sei die am 1.10.2009 zunächst angeordnete MRT-Untersuchung unterlassen worden. Diese wäre trotz ihrer Klaustrophobie möglich gewesen, wenn man sie genügend sediert hätte. In der Klinik der Beklagten habe man auch nicht genügend auf die von ihr bis zum März 2010 geäußerten Schmerzen und Beschwerden reagiert. Insgesamt sei die Einholung eines weiteren Gutachtens geboten.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung vom 17.3.2014.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils, die in erster Instanz eingeholten Sachverständigengutachten, die Sitzungsniederschrift vom 27.9.2013 sowie die in zweiter Instanz gewechselten Schriftsätze.
II. Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das LG festgestellt, dass der Klägerin unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt, weder aus Vertrag noch aus unerlaubter Handlung, Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte zustehen. Auf die tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen sowie die zutreffende Würdigung der Beweisergebnisse im angefochtenen Urteil, die sich auch hinreichend mit dem Privatgutachten Dr. Kr. auseinandersetzen, sowie die Ausführungen in der Berufungserwiderung nimmt der Senat umfassend Bezug (§ 540 ZPO).
Zu den Rechtsmittelangriffen der Klägerin ist auszuführen:
1. Grundsätzlich muss der Patient die Voraussetzungen eines Behandlungsfehlers und dessen Ursächlichkeit für den geklagten Gesundheitsschaden ...