Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, wann im Arzthaftungsprozess eine Aussetzung des Verfahrens statthaft ist, weil wegen desselben Sachverhalts gegen die beteiligten Ärzte ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde.
Verfahrensgang
LG Mainz (Beschluss vom 21.04.2004; Aktenzeichen 2 O 164/03) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Aussetzungsbeschluss der 2. Zivilkammer des LG Mainz vom 21.4.2004 aufgehoben.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt als (Mit-)Erbin ihrer am 26.2.1970 geborenen und am 4.9.2000 gestorbenen Tochter den beklagten Arzt auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld an sie und ihren geschiedenen Ehemann (ebenfalls Miterbe) in Anspruch (Bl. 3, 125, 126 GA).
Der Beklagte verteidigt sich u.a. damit, dass er seinen Beruf in Praxisgemeinschaft mit Frau Dr. H. ausübe; jeder Arzt behandele seine Patienten eigenverantwortlich. In die nach Darstellung der Klägerin schadensauslösende Behandlung ihrer Tochter sei er nicht "involviert" gewesen (48, 112 GA).
Das LG hat einen vorterminlichen Beweisbeschluss erlassen, Termin bestimmt und die Zeugin Dr. M. H. geladen. Diese hat sodann (anwaltlich vertreten) mitgeteilt, sie werde von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen, weil gegen sie strafrechtliche Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung der Tochter der Klägerin geführt würden (153 GA).
Im Hinblick hierauf hat die Kammer den bereits bestimmten Termin aufgehoben und das Verfahren bis zum Abschluss der strafrechtlichen Ermittlungen ausgesetzt. Das greift die Klägerin mit ihrem Rechtsmittel an.
II. Die sofortige Beschwerde ist gem. § 252 ZPO zulässig und hat in der Sache Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.
Bis zur Erledigung eines Strafverfahrens kann gem. § 149 ZPO eine Verhandlung ausgesetzt werden, wenn die Ermittlungen im Strafverfahren auf die zivilrechtliche Entscheidung von Einfluss sind. § 252 ZPO eröffnet dem Beschwerdegericht die Nachprüfung dieser Entscheidung auf Verfahrens- und Ermessensfehler. Eine eigene Beurteilung der Sach- und Rechtslage findet dagegen nicht statt.
Nach den Gründen des angefochtenen Beschlusses sind unter Würdigung des übrigen Akteninhalts die Voraussetzungen des § 149 ZPO hier jedoch nicht gegeben.
Zwar trifft es zu, dass das Ermittlungsverfahren und der Zivilrechtsstreit im Kern den gleichen Sachverhalt betreffen und das Strafverfahren Einfluss auf die Beweiswürdigung des LG haben kann. Bei einer ermessensgerechten Abwägung sind jedoch die Vorteile einer etwaigen Klärung des Sachverhalts in einem Strafprozess gegen die Nachteile der Verzögerung im Zivilprozess abzuwägen.
Der Senat ist mit den OLG Köln und Stuttgart der Auffassung, dass im Arzthaftungsprozess im Allgemeinen der mit einer Aussetzung des Verfahrens verfolgte Zweck nicht erreicht wird. Denn im Arzthaftungsprozess stellen sich die Rechts- und die Beweislage oft wesentlich anders dar als im Strafverfahren. Die im Ermittlungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse sind nur in wenigen Fällen von Nutzen. Erfahrungsgemäß hat das Zivilgericht, unabhängig vom Ausgang des Strafverfahrens, die Beweisaufnahme ganz oder in Teilen zu wiederholen und eine eigene Beweiswürdigung vorzunehmen (OLG Stuttgart vom 17.12.1990 - 14 W 5/90, VersR 1991, 1027; OLG Köln VersR 1989, 518; OLG Celle, Beschl. v. 7.1.2003 - 20 W 31/02).
Letztlich entscheidend ist, dass in vorliegender Konstellation der Ausgang des Strafverfahrens für den Zivilprozess keinerlei zusätzliche Erkenntnisse bringen wird. Hinsichtlich der Frage, ob die maßgebliche Behandlung der Tochter der Klägerin von ihr oder dem Beklagten vorgenommen wurde, ist die Zeugin - ebenso der Beklagte - sowohl als Beschuldigte, Angeschuldigte als auch als Angeklagte nicht zu Angaben verpflichtet. Auch eine Einstellung gem. § 170 Abs. 2 StPO hätte keine Rechtskraftwirkung. Die Frage, ob sie behandelnde Ärztin war, braucht die Zeugin selbst dann nicht zu beantworten, wenn sie eine Straftat nicht begangen hat (Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 384 Rz. 2, 6). Käme es zu einer strafrechtlichen Verurteilung der Zeugin, würde dies die Zivilkammer nicht der Verpflichtung entheben, zu prüfen, ob der Beklagte als Handelnder oder auf sonst bedeutsame Weise zivilrechtlich haften würde.
Nach alledem führt die Aussetzung nach § 149 ZPO nur zu einer der Klägerin nicht zuzumutenden Verzögerung des Zivilverfahrens mit zweifelhaftem Nutzen.
Auf die sofortige Beschwerde ist der angefochtene Beschluss aufzuheben. Gerichtskosten fallen nicht an (§§ 1, 11 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1957 KV). Die außergerichtlichen Kosten sind solche des Rechtsstreits (Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 252 Rz. 3).
Der Beschwerdewert beträgt 20.000 Euro (ca. 1/5 des Streitwerts in der Hauptsache).
Die Voraussetzungen für die Zulassung einer Rechtsbeschwerde (§ 574 ZPO) liegen nicht vor.
Fundstellen
Haufe-Index 1171551 |
ArztR 2005, 135 |
GesR 2004, 378 |
OLGR-KSZ 2004, 522 |
ZMGR 2004, 162 |