Entscheidungsstichwort (Thema)
Verteidiger. Pflichtverteidiger. Bestellung. Widerruf. Vertrauensanwalt
Leitsatz (amtlich)
Die Rechte des Angeklagten werden nicht verletzt, wenn in einer Haftsache mit mehreren Angeklagten die gerichtliche Bestellung des vom Angeklagten bezeichneten Vertrauensanwalts zum Verteidiger wegen dessen Verhinderung an den vorgesehenen Hauptverhandlungsterminen widerrufen und ihm unter Beachtung von § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO ein anderer Rechtsanwalt als Verteidiger beigeordnet wird.
Normenkette
StPO §§ 142-143
Verfahrensgang
LG Koblenz (Entscheidung vom 29.10.2014; Aktenzeichen 9 KLs 2090) |
Tenor
Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss der Vorsitzenden Richterin der 9. Strafkammer des Landgerichts Koblenz vom 29. Oktober 2014 wird als unbegründet auf seine Kosten (§ 473 Abs. 1 S. 1 StPO) verworfen.
Gründe
Die mit Verteidigerschriftsatz vom 4. November 2014 eingelegte Beschwerde des Angeklagten I. gegen die von der Kammervorsitzenden am 29. Oktober 2014 beschlossene Aufhebung der Bestellung von Rechtsanwalt Ko. zum Verteidiger und Beiordnung von Rechtsanwalt Kö. ist unbegründet.
1.)
Es entspricht der allgemeinen Auffassung, dass eine Verteidigerbestellung aus wichtigem Grund widerrufen werden kann, wenn Umstände vorliegen, die den Zweck der Pflichtverteidigung, dem Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu sichern und einen ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, gefährden (vgl. nur Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 143 Rdn. 3 m.w.N.). Zu solchen Umständen zählt auch die Verhinderung des Verteidigers, an den vorgesehenen Hauptverhandlungsterminen teilzunehmen (OLG Hamm, 2 Ws 56/06 vom 02.03.2006 Rdn. 10 bei [...]; OLG Celle, NStZ 2008, 583; OLG Stuttgart, 2 Ws 97/11, 2 Ws 98/11 vom 17.05.2011 Rdn. 12 bei [...]; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O.). Dieser Widerrufsgrund liegt hier vor. Nach Erhalt der Ladung zu den anberaumten Hauptverhandlungsterminen am 11., 12. und 18. November, 2., 10. und 17. Dezember 2014 erklärte Rechtsanwalt Ko. mit Schreiben vom 20. Oktober 2014, seine Teilnahme für keinen der Termine zusagen zu können. Der Widerruf war daraufhin geboten. Eine Verpflichtung, neben Rechtsanwalt Ko. einen weiteren Pflichtverteidiger beizuordnen, bestand nicht. Die Verteidigung des Angeklagten konnte vielmehr durch Bestellung eines anderen Verteidigers an Stelle des bisherigen Pflichtverteidigers gesichert werden (OLG Celle a.a.O.; OLG Stuttgart a.a.O.)
Die Rechte des Angeklagten werden dadurch nicht verletzt, auch wenn er mit Schreiben an die Strafkammer vom 27. Oktober 2014 nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass Rechtsanwalt Ko. sein Vertrauen genieße und er keinesfalls einen anderen Verteidiger akzeptieren werde. Zwar fordert der Grundsatz des fairen Verfahrens, die Wünsche des Angeklagten auf Beiordnung eines Verteidigers möglichst zu berücksichtigen. Ein Anspruch auf Bestellung des von ihm benannten Rechtsanwalts besteht jedoch nicht. Vielmehr kann ihm in begründeten Ausnahmefällen die Beiordnung des Verteidigers seiner Wahl auch versagt werden, wobei eine solche Ausnahme gerade dadurch entstehen kann, dass der Verteidiger sich außer Stande erklärt, an den Hauptverhandlungsterminen teilzunehmen (zu allem BVerfG NStZ 2006, 460, 461).
Die der Terminsplanung des Verteidigers zuwiderlaufende Anberaumung der Hauptverhandlungstermine verletzt den Grundsatz des fairen Verfahrens nicht. Die Vorsitzende der Strafkammer hat das Interesse des Angeklagten, in der Hauptverhandlung von dem Verteidiger seiner Wahl verteidigt zu werden, in ausreichender Weise dadurch gewahrt, dass sie Rechtsanwalt Ko. die vorgesehenen Verhandlungstermine per Telefax bereits am 29. August 2014, mehr als zwei Monate vor Beginn der Verhandlung, mitteilte und ihm damit Gelegenheit gab, seine sonstigen Termine darauf einzurichten. Gegen eine eingehendere Abstimmung der Zeitplanung mit der Terminsauslastung des Verteidigers sprachen zwingende Hinderungsgründe:
a) Die Strafkammervorsitzende hatte die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens auch in anderen Hinsicht zu gewährleisten und dabei insbesondere das den Freiheitsanspruch des Angeklagten schützende Beschleunigungsgebot in Haftsachen zu beachten (vgl. BVerfG a.a.O.), das durch § 121 Abs. 1 StPO Geltung beanspruchte. Die in dieser Vorschrift für den Vollzug von Untersuchungshaft bestimmte Sechsmonatsfrist läuft vorliegend am 27. November 2014 ab. Gründe, die ausnahmsweise eine darüber hinausgehende Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen könnten, liegen nach Ansicht der Kammervorsitzenden nicht vor, so dass es zur Sicherung einer fristgerechten Urteilsverkündung ihre Aufgabe war, eine Fristunterbrechung nach § 121 Abs. 3 Satz 2 StPO durch Beginn der Hauptverhandlung vor Fristablauf herbeizuführen. Dem hatte sie durch eine entsprechende Terminierung Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG a.a.O.). Dabei dürfen mit dem Beschleunigungsgebot unvereinbare Verzögerungen aufgrund nicht behebbarer Verhinderungen des vom Angeklagten benannten Verteidig...