Entscheidungsstichwort (Thema)

Unterbringung. Sicherungsverwahrung. Altfall. Fortdauer. Außervollzugsetzung. Bewährung. Erledigung. Prognose. Verhältnismäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Liegen die Anlasstaten vor dem 1. Juni 2013, sind bei Entscheidungen über die Fortdauer der Unterbringung gemäß Art. 316f Abs. 2 Satz 1 EGStGB - soweit in Abs. 3 nichts anderes bestimmt ist - die bis zum 31. Mai 2013 geltenden Vorschriften über die Sicherungsverwahrung unter Beachtung des bis zum 31. Mai 2013 geltenden Maßstabs "strikter Verhältnismäßigkeit" gemäß Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2 BvR 2365/09 u.a. vom 4. Mai 2011 anzuwenden (Senat, Beschluss 2 Ws 411/14 vom 03.09.2014 unter Bezugnahme auf BGH, Urteil 5 StR 563/13 vom 11.03.2014, NStZ 2014, 263).

2. Das Gebot strikter Verhältnismäßigkeit der Unterbringung gilt insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen an die Gefahrprognose und die gefährdeten Rechtsgüter. In der Regel wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur unter der Voraussetzung gewahrt sein, dass eine Gefahr schwerer Gewalt- und Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist (BVerfG, a.a.O., Rdnr. 172).

3. In dem Verfahren nach Art. 316e Abs. 3 Satz 1 EGStGB ist die nach § 66 StGB a.F. angeordnete Sicherungsverwahrung nur dann für erledigt zu erklären, wenn alle für die Anordnung der Sicherungsverwahrung kausalen Taten aus den Anlass- und Vorverurteilungen nicht mehr in den Katalog des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB in der am 1. Januar 2011 in Kraft getretenen Fassung fallen (BGH Vorlagebeschluss 5 StR 451/11 vom 25. April 2012, NJW 2012, 1824).

 

Normenkette

StGB § 67d Abs. 2; EGStGB § 316e Abs. 3 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Koblenz (Entscheidung vom 11.03.2016; Aktenzeichen 7a StVK 60/15)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Untergebrachten wird der Beschluss der großen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Koblenz in Diez vom 11. März 2016 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Koblenz in Diez zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Landgericht Landau verhängte gegen den Beschwerdeführer mit Urteil vom 24. Februar 2004 wegen Raubs in Tateinheit mit Körperverletzung (§§ 249, 223, 52 StGB; Tatzeit: 27.07.2002) und wegen der tateinheitlich verwirklichten Delikte des Diebstahls mit Waffen (Messer), Wohnungseinbruchdiebstahls, der gefährlichen Körperverletzung und schweren räuberischen Erpressung (§§ 244 Abs. 1 Nr. 1a, Nr. 3, 224 Abs. 1 Nr. 2, 250 Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 2 Nr. 1 253, 255, 52, 53 StGB; Tatzeit: 11.10.2003) eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten (Einzelstrafen: 1 Jahr 6 Monate und 6 Jahre). Zugleich ordnete es seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach §

66 Abs. 1 StGB an. Nach vollständiger Verbüßung der Gesamtfreiheitsstrafe befindet sich der Verurteilte seit dem 25. August 2009 im Maßregelvollzug. Eine Vollzugsdauer von zehn Jahren gemäß § 67d Abs. 3 StGB wird mit Ablauf des 24. August 2019 erreicht sein.

Mit der angefochtenen Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer im Regelüberprüfungsverfahren nach §§ 67d Abs. 2, 67e Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 StGB nach Einholung eines forensisch-psychologischen Prognose-Gutachtens und mündlicher Anhörung der Sachverständigen den weiteren Maßregelvollzug nicht für erledigt erklärt und nicht zur Bewährung ausgesetzt. Nach Ansicht der Kammer könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird.

Hiergegen richtet sich die - nicht ausgeführte - sofortige Beschwerde des Untergebrachten.

II.

Das nach §§ 463 Abs. 3, 454 Abs. 3 StPO statthafte und in zulässiger Weise eingelegte Rechtsmittel hat Erfolg. Der Beschluss der Strafvollstreckungskammer ist aufzuheben.

1. Er beruht auf einer unzureichend aufgeklärten Prognosegrundlage. Die Auffassung der Kammer, "ohne festes Beschäftigungsverhältnis droht für den Untergebrachten ein Abgleiten in vergangene Verhaltensweisen mit der Begehung weiterer Taten wie der Anlasstaten", findet weder in dem schriftlichen Sachverständigengutachten, das noch vom Bestehen eines festen Arbeitsverhältnisses ausging, noch in den Erläuterungen der Sachverständigen im Anhörungstermin vom 11. März 2016, an dem das Beschäftigungsverhältnis nicht mehr bestand, eine Stütze. Worauf sich die Prognose der Kammer gründet, ist nicht ersichtlich. Welche Straftaten mit welcher Wahrscheinlichkeit vom Untergebrachten unter den gegebenen Umständen im Fall einer Außervollzugsetzung zu erwarten sind, bleibt nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand offen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat dazu zutreffend ausgeführt:

"Im vorliegenden Fall vermittelten dem Gericht jedoch weder das schriftliche Sachverständigengutachten vom 27.01.2016, noch die mündlichen Ausführungen der Sachverständigen im Termin vom 11.03.2016 die tatsächlichen Grundlagen, die es ihm ermöglichten, eigenständig die geforderte ...

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