Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausgleichspflicht des Erben gegenüber pflichtteilsberechtigten Personen. Berücksichtung von Ansprüchen nach dem Vermögensgesetz

 

Normenkette

VermG §§ 3, 9; BGB § 2311 Abs. 1 S. 1, § 2313 Abs. 1, § 2332

 

Verfahrensgang

LG Mainz (Beschluss vom 02.12.1992; Aktenzeichen 6 O 278/92)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluß der 6. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 2. Dezember 1992 aufgehoben.

Die Sache wird an das vorbezeichnete Gericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I.

Die Parteien sind die Kinder der am 25. November 1975 in Alzey verstorbenen Frau E. D. L. (im folgenden Erblasserin). Diese hatte durch Testament vom 20. Januar 1965 die Beklagten zu 1. und 2. zu ihren alleinigen Erben bestimmt.

Die Erblasserin besaß in D. S. einen größeren landwirtschaftlichen Betrieb, der 1952 enteignet wurde und bis heute der LPG „W. P.” gehört. Für den Fall, daß – nach einer Wiedervereinigung Deutschlands – eine Entschädigung gezahlt werden sollte, vermachte die Erblasserin der Klägerin ein Drittel des Grundbesitzes bzw. der Entschädigung. Die Klägerin schlug dieses Vermächtnis am 13. Juni 1976 aus und begehrte den Pflichtteil. Die Beklagten zahlten ihr den Pflichtteil aus, nämlich ein Sechstel des Nachlaßwertes (ohne Berücksichtigung des Grundbesitzes in D).

Nach Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands am 3. Oktober 1990 beantragten die Beklagten die Rückübertragung des enteigneten Grundbesitzes bzw. die Gewährung von Entschädigung gemäß dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (VermG) vom 23. September 1990. Über diesen Antrag ist noch nicht entschieden.

Die Klägerin macht geltend, der Wert des Nachlasses habe sich aufgrund des Rückübertragungs- oder Entschädigungsanspruchs nach dem Vermögensgesetz nachträglich erhöht. Sie verlangt, am Wertzuwachs in Höhe ihres Pflichtteils beteiligt zu werden. Im Wege der Stufenklage beansprucht sie zunächst Auskunft über das zum Nachlaß gehörige Grundvermögen in D., Ermittlung von dessen Wert durch die Beklagten und schließlich Zahlung von einem Sechstel des Wertes.

Die Beklagten erheben die Einrede der Verjährung und berufen sich darauf, daß die Klägerin eventuelle Ansprüche verwirkt habe. Sie verweisen darauf, daß die Klägerin – unstreitig – am 30. Juli 1990 gegenüber der LPG „W. P.” auf ihr „Erbteil” zugunsten des „volkseigenen Gutes” verzichtet habe.

Das Landgericht hat das Prozeßkostenhilfegesuch der Klägerin mangels Erfolgsaussicht der angestrengten Klage zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Beschwerde ist begründet. Die Klage hat hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 Satz 1 ZPO).

Die Beklagten schulden der Klägerin gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 1 BGB Auskunft über den Bestand des Nachlasses. Dazu gehören auch Leistungen, die die Beklagten aufgrund des Vermögensgesetzes beanspruchen können. Sie müssen, sofern sie nach dem Vermögensgesetz früheren Grundbesitz der Erblasserin rückübereignet oder eine Entschädigung erhalten, ein Sechstel des Wertes dieser Rückerstattungen an die Klägerin zahlen.

1. Der hier streitige Fall ist aufgrund des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu entscheiden. Denn der Erbfall trat am 25. November 1975 ein, also vor Inkrafttreten des Zivilgesetzbuchs der DDR am 1. Januar 1976. Eine Spaltung des Nachlasses dahin, daß der im Gebiet der früheren DDR gelegene Nachlaß dem Zivilgesetzbuch unterworfen wäre, ist nicht eingetreten. Einschränkungen, die das Bürgerliche Gesetzbuch vor dem 1. Januar 1976 in der DDR erfahren hat, sind in diesem Rechtsstreit nicht erheblich.

2. Die Klägerin hat als Pflichtteilsberechtigte Anspruch auf ein Sechstel des Nachlaßwertes (§ 2303 Abs. 1 BGB). Der Berechnung des Pflichtteils ist der Bestand und der Wert des Nachlasses zur Zeit des Erbfalls zugrundezulegen (§ 2311 Abs. 1 Satz 1 BGB). Bei der Feststellung des Wertes des Nachlasses bleiben Rechte und Verbindlichkeiten, die von einer aufschiebenden Bedingung abhängig sind, außer Ansatz; Rechte und Verbindlichkeiten, die von einer auflösenden Bedingung abhängig sind, kommen als unbedingte in Ansatz (§ 2313 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BGB). Tritt allerdings die Bedingung ein, so hat die der veränderten Rechtslage entsprechende Ausgleichung zu erfolgen (§ 2313 Abs. 1 Satz 3 BGB). Gleiches gilt gemäß § 2313 Abs. 2 Satz 1 BGB für Ungewisse oder unsichere Rechte sowie für zweifelhafte Verbindlichkeiten. Das Ziel der gesetzlichen Regelung ist klar: Der Pflichtteilsberechtigte soll dem Erben vergleichbar behandelt werden. Der Erbe soll nicht einseitig von späteren Vermögensverschiebungen Vorteil haben oder dadurch belastet werden (vgl. BGHZ 3, 394, 401; 87, 367, 372; BGH FamRZ 1977, 128, 129). Der Zweck der gesetzlichen Regelung rechtfertigt es, den Pflichtteilsberechtigten entsprechend § 2313 Abs. 1 Satz 3 BGB auch an den Entschädigungen teilhaben zu lassen, auf die nicht der Erblasser, sondern erst der Erbe einen Anspruch erwirbt, und die als Ersatzvorteil für Vermögen des Erblassers gelten können (vg...

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