Leitsatz (amtlich)

1. Die Zulässigkeit eines zweitinstanzlichen Widerantrags bestimmt sich in Familienstreitsachen nicht nach § 533 ZPO, sondern nach den allgemeinen Vorschriften für die erste Instanz.

2. Zur - hier verneinten - Fortdauer der nachehelichen Unterhaltspflicht nach Renteneintritt beider vormaliger Ehegatten bei einer rund 22-jährigen Hausfrauen- und Kindererziehungsehe mit durch finanzielle Abhängigkeit geprägter wirtschaftlichen Verflechtung der Ehegatten sowie einer bisher rund 20-jährigen Unterhaltszahlung und einer in der Ehezeit aufgetretenen Erkrankung der Unterhaltsberechtigten.

3. Es obliegt dem Unterhaltsberechtigten, einen ehebedingten Nachteil im Rahmen seiner nach den Regeln zum Beweis negativer Tatsachen bestehenden sekundären Darlegungslast im Unterhaltsverfahren unabhängig von der Beteiligtenrolle konkret darzulegen. Erst dann hat der Unterhaltsverpflichtete das Nichtvorliegen eines ehebedingten Nachteiles darzutun und ggfls. zu beweisen.

4. Eine Arbeitsplatzaufgabe geraume Zeit vor der Eheschließung begründet - jenseits der Konstellation des § 1615l BGB - keinen ehebedingten Nachteil. Ein solcher tritt aber sodann mit der Eheschließung ein, wenn der nicht mehr erwerbstätige Ehegatte seiner früheren Beschäftigung weiterhin nicht mehr nachgeht, weil er sich nun um den ehelichen Haushalt kümmert und aufgrund der mit der Heirat fortgeführten bisherigen Rollenverteilung weiterhin auf eine Erwerbstätigkeit verzichtet.

5. Ein ehebedingter Nachteil wegen ehebedingter Unterbrechung oder Reduzierung der Erwerbstätigkeit scheidet aus, soweit für diese Zeit ein Versorgungsausgleich stattgefunden hat. Das gilt selbst dann, wenn die tatsächliche Altersrente unter Einschluss des Versorgungsausgleichs hinter derjenigen Rente zurückbleibt, welche ohne die Ehe erzielt werden hätte können.

6. Ein ehebedingter Nachteil aufgrund nachehelich nur erzielbaren geringeren Versorgungsanrechten, als dies bei hinweggedachter Ehe der Fall wäre, ist grundsätzlich ausgeglichen, wenn für diese Zeit ein Anspruch auf Altersvorsorgeunterhalt besteht.

7. In aller Regel ist eine in der Ehezeit aufgetretene Erkrankung nicht ehebedingt, sondern das Ergebnis einer schicksalhaften Entwicklung sowie der Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos. Sie vermag daher einen ehebedingten Nachteil nicht zu begründen, sondern ist bei der Frage nach einer Unterhaltsbegrenzung bzw. -befristung nur unter dem Gesichtspunkt der nachehelichen Solidarität zu berücksichtigen. Eine Ehebedingtheit erfordert nämlich, dass die Krankheit entweder mit der ehelichen Rollenverteilung oder mit sonstigen, mit der Ehe verbundenen Umständen im Zusammenhang steht.

8. Eine psychische Erkrankung beruht regelmäßig primär auf der persönlichen Konstitution, so dass sie selbst dann grundsätzlich nicht ehebedingt ist, wenn sie durch eine Ehekrise ausgelöst worden ist oder durch die im Zusammenhang mit einer Ehekrise aufgetretenen Belastungen einen ungünstigeren Verlauf genommen hat.

9. Ehebedingte Nachteile stehen einer Unterhaltsbefristung nicht entgegenstehen, wenn sie durch ehebedingte Vorteile kompensiert sind.

10. Zu den Voraussetzungen und Grenzen für einen Wechsel aus der privaten in die gesetzliche Krankenversicherung nach Trennung und Scheidung.

11. Unterhaltsleistungen eines zweiten Ehegatten führen nicht zu einer Erhöhung des Unterhaltsbedarfs des ersten Ehegattens, sondern können nur für die Frage der Leistungsfähigkeit Bedeutung erlangen.

 

Normenkette

BGB §§ 1569, 1571-1572, 1578, 1578b, 1581; FamFG § 113 Abs. 1 S. 2, § 117; ZPO §§ 33, 145 Abs. 2, § 263 ff.

 

Verfahrensgang

AG Simmern (Aktenzeichen 51 F 49/20)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 15.12.2020; Aktenzeichen StB 45/20)

 

Tenor

1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Simmern/Hunsrück vom 13.08.2020, Az. 51 F 49/20, wird unter Abweisung ihres Widerantrags kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Der Verfahrenswert wird für das Beschwerdeverfahren auf 25.179,25 EUR festgesetzt.

3. Der Antrag der Antragsgegnerin auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I. Die auf am 07.12.1999 zugestellten Scheidungsantrag mit seit 04.01.2005 rechtskräftigem Urteil vom 17.10.2003 geschiedenen Beteiligten hatten am 07.07.1977 geheiratet. Aus der Ehe sind drei mittlerweile volljährige Kinder hervorgegangen. Das älteste Kind kam im Jahr 1978 zur Welt. Die Antragsgegnerin ist staatlich geprüfte Hauswirtschafterin / Wirtschaftsleiterin und war als solche vor der Ehe im öffentlichen Dienst sowie als Lehrerin im Internat tätig (Bl. 74 d.A. 1. Inst.). Während der Ehe war sie Hausfrau und kümmerte sich um Familie und Kinder.

Im Scheidungsverbundurteil wurden für die Antragsgegnerin im Wege des Versorgungsausgleichs in der gesetzlichen Rentenversicherung monatliche Anwartschaften in Höhe von 924,72 EUR, bezogen auf den 30.11.1999, begründet. Des Weiteren wurde der Antragsteller zur Zahlung von nachehelichem Unterhalt verpflichtet. ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge