Entscheidungsstichwort (Thema)

Streitwertfestsetzung. Wert des selbständigen Beweisverfahrens (früher „Beweissicherungsverfahren”)

 

Verfahrensgang

LG Koblenz (Beschluss vom 23.01.1992; Aktenzeichen 10 OH 4/91)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Streitwertbeschluß der 10. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 23. Januar 1992 abgeändert.

Der Streitwert für das selbständige Beweisverfahren wird auf 15.960,– DM festgesetzt.

Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

 

Tatbestand

I.

Die Antragsteller hatten von den Antragsgegnern ein Einfamilienhaus gekauft, an dessen offenem Kamin sie später Schäden feststellten. Deshalb erwogen sie, die Antragsgegner wegen arglistigen Verhaltens auf Mängelgewährleistung in Anspruch zu nehmen.

Um den Zustand des Kamins sachverständig begutachten zu lassen, leiteten die Antragsteller beim Landgericht im September 1991 ein selbständiges Beweisverfahren ein. Der eingeschaltete Sachverständige bestätigte die behaupteten Mängel und gab den Beseitigungsaufwand mit 15.960,– DM an.

Das Landgericht hat daraufhin den Streitwert für das Beweisverfahren mit einem Bruchteil (1/3) dieses Betrags bemessen. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Verfahrensbevollmächtigten der Antragsteller; seiner Auffassung nach entspricht der Streitwert dem Hauptsachewert von 15.960,– DM.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die nach § 25 Abs. 2 GKG, § 9 Abs. 2 BRAGO zulässige Beschwerde ist begründet. Entgegen der Ansicht des Landgerichts wird der Streitwert des Beweisverfahrens nicht lediglich durch einen Bruchteil des Hauptsacheinteresses, sondern durch dessen vollen Betrag bestimmt.

1. Die Streitwertbemessung für das Beweissicherungsverfahren alter Art. in der bis zum 31. März 1991 maßgeblichen Gesetzesfassung war stark umstritten. Es sprachen gleichermaßen gute Gründe für die Auffassung, den Streitwert uneingeschränkt am Wert des zu sichernden Anspruchs auszurichten, wie für die Ansicht, insoweit nur von einem Teilwert auszugehen (zum Meinungsstand vgl. Mümmler JurBüro 1989, 1007; Schneider, Streitwertkommentar, 9. Aufl., Rdnr. 875 ff. noch zum alten Recht). Diese Bewertungsunsicherheiten erachtet der Senat, der für den früheren Rechtszustand grundsätzlich der letztgenannten Meinung (ca. 1/3) zugeneigt hatte (Beschlüsse vom 14. März 1988 – 14 W 118/88 – und vom 19. September 1988 – 14 W 575/88 –), durch das seit dem 1. April 1991 wirksame Rechtspflegevereinfachungsgesetz im wesentlichen für beseitigt (ebenso OLG Köln, 2. Senat, JMBl. NW 1992, 92 f.; OLG Köln, 11. Senat, JurBüro 1992, 191, 192 = MDR 92, 192; OLG Stuttgart BauR 1992, 268, 269; OLG München, Beschluß vom 30. April 1992 – 28 W 651/92 –; OLG Karlsruhe NJW RR 92, 766 f., LG Berlin KostRsp. ZPO § 3 Nr. 1027 mit zust. Anm. E. Schneider; Schneider in Zöller ZPO 17. Aufl., Rn. 16; LG Bayreuth 2 O H 17/91; a.A. OLG Köln, 7. Senat, JurBüro 1992, 351 f; LG Krefeld, JurBüro 92, 418 – 6.ZK –).

2. Die Gesetzesnovelle hat eine beträchtliche Aufwertung des selbständigen Beweisverfahren mit sich gebracht. Das wird bereits dadurch angedeutet, daß der bisher gültige Begriff „Beweissicherungsverfahren” in Fortfall geraten und an seine Steile die Bezeichnung „selbständiges Beweisverfahren” getreten ist.

3. a) Darin kommt zunächst zum Ausdruck, daß das Beweisverfahren nicht mehr nur darauf abzielt, die Beweise für einen späteren Hauptsacheprozeß zu sichern, sondern auch die eigenständige Aufgabe hat, einer weiteren gerichtlichen Auseinandersetzung tunlichst vorzubeugen. So kann das Verfahren nunmehr allein schon im Hinblick darauf eingeleitet werden, daß die angestrebten Feststellungen der Vermeidung eines Rechtsstreits zu dienen vermögen (§ 485 Abs. 2 Satz 2 ZPO). In diesem Zusammenhang wird namentlich die vergleichsstiftende Rolle des Beweisverfahrens betont; ist eine Einigung zu erwarten, kann das Gericht die Parteien zur mündlichen Erörterung laden und gegebenenfalls einen Vergleich protokollieren (§ 492 Abs. 3 ZPO).

b) Der neue § 494 a ZPO sieht eine Fristsetzung zur Klageerhebung und eine Kostenentscheidung beim Unterlassen der Klageerhebung vor.

4. Daneben versteht sich das selbständige Beweisverfahren aber auch, stärker als das Beweissicherungsverfahren alter Art., als eine vollwertige, vorweggenommene Beweisaufnahme für den Fall, daß es zu einem Prozeß in der Hauptsache kommt. Diese Einordnung – die schon unter dem alten Recht tendenziell aus § 37 Nr. 3 BRAGO herauszulesen war, indem dort das Beweisverfahren im Hinblick auf die anwaltliche Tätigkeit als zur Instanz gehörig eingestuft wurde – ergibt sich sowohl aus dem veränderten Ablauf des Beweisverfahrens als auch aus seiner prozessualen Verwertung.

a) Während das frühere Beweissicherungsverfahren außerhalb eines anhängigen Rechtsstreits bei dem Amtsgericht anzubringen war, in dessen Bezirk sich das Beweismittel befand (§ 486 Abs. 3 ZPO a.F.), ist nunmehr regelmäßig das Gericht zuständig, das nach dem Vortrag des Antragsteilers zur Entscheidung in der Hauptsache berufen...

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