Entscheidungsstichwort (Thema)
Bei gesteigerter Barunterhaltspflicht ist Pflegegeld (für ein weiteres Kind) zu berücksichtigen
Leitsatz (redaktionell)
Zum Umfang der gesteigerten Barunterhaltspflicht gem. § 1603 Abs. 2 BGB eines Elternteils gegenüber einem bei dem anderen Elternteil lebenden Kind aus erster Ehe, wenn in der zweiten Ehe weitere Kinder betreut werden, von denen eines aufgrund einer Schwerbehinderung besonders betreuungsbedürftig ist. Zur Berücksichtigung des für das behinderte Kind an den unterhaltspflichtigen Elternteil als Pflegeperson geleisteten Pflegegeldes zur Deckung des Barunterhaltsbedarfs des nicht betreuten Kindes aus erster Ehe.
Normenkette
BGB § 1603 Abs. 2
Verfahrensgang
AG Montabaur (Aktenzeichen 16 F 104/01) |
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin folgenden Kindesuntehalt zu zahlen:
vom 15.11.2000 bis zum 31.12.2000 monatlich 151,34 Euro (= 296 DM),
vom 1.1.2001 bis zum 30.6.2001 monatlich 204,52 Euro (= 400 DM),
vom 1.7.2001 bis zum 31.12.2001 monatlich 83,85 Euro (= 164 DM),
vom 1.1.2002 bis zum 31.12.2002 monatlich 85,00 Euro,
vom 1.1.2003 bis zum 31.5.2003 monatlich 91,00 Euro,
vom 1.6.2003 bis zum 30.6.2003 43,00 Euro,
vom 1.7.2003 bis zum 31.12.2003 monatlich 14,00 Euro,
sowie ab 1.1.2004 monatlich 38,00 Euro.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Beklagte ist die Mutter der inzwischen vierzehn Jahre alten Klägerin. Diese lebt seit der Scheidung ihrer Eltern im Haushalt des Vaters und wird von diesem betreut und versorgt.
Mit der vorliegenden Klage verlangt die Klägerin für die Zeit ab 15.11.2000 Barunterhalt in Höhe des Regelbetrags nach der Regelbetrag-Verordnung.
Die Beklagte, die keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, ist wieder verheiratet und betreut drei Kinder in ihrem Haushalt: die aus einer anderen Beziehung stammende V., geb. am 19.9.1993, für die deren Vater regelmäßig Unterhalt zahlt, sowie zwei Kinder aus der jetzigen Ehe, J., geb. am 20.6.1997, und M., geb. am 20.10.1999. M. ist herzkrank, ihm wird ein Grad der Behinderung von 60 %, seit 15.7.2004 von 80 % bescheinigt. Bei J. ist die Sprachentwicklung verzögert.
Das AG hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, zwar seien die Unterhaltsansprüche der Klägerin und der übrigen Kinder der Beklagten gleichrangig, der Beklagten sei im vorliegenden Fall wegen der besonderen Belastung durch die weiteren außergewöhnlich betreuungsbedürftigen Kinder jedoch ausnahmsweise nicht zuzumuten, neben ihrer Familienarbeit noch einer Nebentätigkeit nachzugehen, um so auch den Unterhaltsbedarf der nicht von ihr betreuten Klägerin sicherstellen zu können. Auch ein Anspruch auf - für Unterhaltszwecke einsetzbares - Taschengeld ggü. dem Ehemann bestehe nicht, da dessen Einkommen kaum zur Deckung des notwendigen Bedarfs der Familie ausreiche. Das für den Sohn M. gezahlte Pflegegeld könne nicht berücksichtigt werden.
Mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Begehren zunächst weiter. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat sie ihren Anspruch jedoch der zwischenzeitlich erfolgten - eingeschränkten - Prozesskostenhilfebewilligung angepasst und verlangt nur noch die aus den Beschlüssen des Senats vom 15. und 29.11.2004 ersichtlichen Beträge.
Das Rechtsmittel der Klägerin ist zulässig, in der Sache führt es zu einem Teilerfolg. Der Klägerin steht Kindesunterhalt nur in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang zu.
Wie das AG zutreffend ausgeführt hat, ist die Beklagte ggü. der nicht von ihr betreuten Klägerin grundsätzlich barunterhaltspflichtig. Denn die aus § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB folgende Freistellung von der Pflicht zur Zahlung von Barunterhalt gilt nur ggü. dem selbst betreuten Kind, nicht ggü. dem beim andern Ehegatten lebenden Kind, für das keine Betreuung geleistet wird.
Das Maß des geschuldeten Unterhalts (§ 1610 Abs. 1 BGB) richtet sich, da minderjährige Kinder noch keine selbständige Lebensstellung haben, grundsätzlich nach der in den Einkommensverhältnissen zum Ausdruck kommenden Lebensstellung des barunterhaltspflichtigen, nicht betreuenden Elternteils, wobei zum Einkommen in diesem Sinne auch die aufgrund einer unterhaltsrechtlichen Obliegenheit erzielbaren Einkünfte gehören (Ziff. 9 der Unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Familiensenate des OLG Koblenz). Gemäß § 1603 Abs. 2 BGB besteht ggü. minderjährigen, nicht verheirateten Kindern eine erweiterte Unterhaltspflicht der Eltern, die die Obliegenheit zur gesteigerten Ausnutzung ihrer Arbeitskraft beinhaltet und bei nicht hinreichendem Bemühen um Arbeit zum Ansatz eines fiktiven Einkommens führen kann (BGH v. 9.7.2003 - XII ZB 83/00, BGHReport 2003, 1207 = MDR 2003, 1182 = NJW 2003, 3122), insb. wenn nicht einmal Kindesunterhalt in Höhe des Regelbetrags nach der Regelbetrag-Verordnung gezahlt werden kann. Allerdings kann die Leistungsfähigkei...