Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Krankenhauses sowie der dort angestellten Ärzte und Hebamme für Versäumnisse vor, während und nach einer Problemgeburt
Leitsatz (amtlich)
1. Zeigt das vorgeburtliche CTG über zwei Stunden mehrmals kritische Abfälle der Herzfrequenz des Kindes und versäumt der Arzt eine Blutanalyse und rasche Einleitung der Geburt, kann darin ein grober Behandlungsfehler liegen, der zu einer Beweislastumkehr führt.
2. Wird die Geburt von einer Ärztin mit vierjähriger Berufserfahrung geleitet, können deren grob fehlerhafte Versäumnisse einer Hebamme nicht zugerechnet werden, wenn das Vorgehen der Ärztin sich der Hebamme nicht als schlechterdings unvertretbar mit dem Erfordernis sofortiger Intervention darstellte. Eine Beweislastumkehr zum Nachteil der Ärztin erstreckt sich daher nicht ohne weiteres auf die Hebamme.
3. Der Ausfall eines Messgerätes kann dem Arzt nicht zugerechnet werden, solange kein Anhalt besteht, dass ein Schaden am Messgerät absehbar war.
4. Haben mehrere widerstreitende Gutachten im Arzthaftungsprozess nicht zu einer tragfähigen Entscheidungsgrundlage geführt, kann es geboten sein, eine verlässliche Klärung der medizinischen Zweifelsfragen durch eine gerichtliche Anhörung aller Sachverständigen in einem einzigen Termin herbeizuführen.
Normenkette
BGB §§ 249, 254, 276, 278, 611, 823, 831, 847; ZPO §§ 286-287
Verfahrensgang
LG Trier (Urteil vom 23.03.2005; Aktenzeichen 5 O 494/04) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 5. Zivilkammer des LG Trier vom 23.3.2005 aufgehoben und durch folgende Entscheidung ersetzt:
I. Die Klage gegen die Beklagten zu 3. und zu 4. wird abgewiesen.
II. Der ggü. den Beklagten zu 1. und zu 2. geltend gemachte Schmerzensgeldanspruch ist dem Grunde nach gerechtfertigt.
III. Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1. und zu 2. gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, für alle materiellen und zukünftigen immateriellen Folgeschäden der von Geburt an bestehenden allgemeinen und dabei insbesondere intellektuellen und motorischen Behinderung des Klägers aufzukommen, soweit die dieserhalb bestehenden Ersatzansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind oder noch übergehen.
IV. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
VI. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger wurde am 12.11.1995 im Krankenhaus der Beklagten zu 1. geboren. Dort war seine Mutter am früheren Nachmittag bei regelmäßiger Wehentätigkeit auf der geburtshilflichen Station aufgenommen worden. Die Schwangerschaft beruhte auf einer assistierten Fertilisierung, die von einer Hormonbehandlung begleitet war.
Von ungefähr 19.00 Uhr an zeigten sich im CTG mehrfach kritische Abfälle in der kindlichen Herzfrequenz. Die Decelerationen nahmen dann ab etwa 21.00 Uhr bedenklich zu. Unterdessen stand die Mutter unter der assistenzärztlichen Überwachung der Beklagten zu 2. Außerdem wurde sie von der Beklagten zu 3. betreut, die ihren Dienst als Hebamme um 20.45 Uhr antrat. Die kritische Lage veranlasste die Beklagte zu 2. schließlich um 22.00 Uhr dazu, die oberärztliche Hilfe des Beklagten zu 4. anzufordern. Dieser erschien um 22.15 Uhr und fand einen Geburtsstillstand bei einer Kopfstellung in der Beckenmitte vor. Es gelang ihm, eine Vakuumextraktion durchzuführen, in deren Zuge der Kläger um 22.35 Uhr zur Welt kam. Die Nabelschnur hatte sich um den Hals geschlungen.
Der Apgar war befriedigend. Eine Blutgasanalyse unterblieb zunächst, weil der pH-Meter auf der Station defekt war. Für eine Messung, die anderweit erfolgte, wurde um 23.17 Uhr Blut aus der kühl gehaltenen Plazenta entnommen. Bei einer zweiten Messung wurde Blut aus der blau angelaufenen Ferse des Klägers verwendet. Daraufhin zog man eine Neonatologin zu, die um 23.50 Uhr eine Sauerstoffunterversorgung diagnostizierte.
Der Kläger wurde dann in die Kinderstation verlegt, wo er sich unter der Zufuhr von Sauerstoff rasch erholte. Am 14.11.1995 wurde er zittrig und in die kinderärztliche Intensivstation verbracht. Man stellte sonografisch eine intraventrikuläre Hirnblutung fest. An den Folgetagen zeigten sich Ventrikelerweiterungen. Man gelangte zu dem Befund eines Hydrocephalus internus, mit dem der Kläger am 8.12.1995 aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Ein operativer Eingriff zur Liquorableitung erfolgte erstmals am 5.7.1996.
Der Kläger ist in der allgemeinen Entwicklung retardiert. Nach seiner Darstellung benötigt er bei den Verrichtungen des täglichen Lebens weitreichend Hilfe. Dafür macht er die Beklagten gesamtschuldnerisch verantwortlich. Er hat den Schaden im Wesentlichen auf einen anhaltenden Sauerstoffmangel zurückgeführt, der vorgeburtlich entstanden und postnatal zu spät behoben worden sei. Die Beklagten zu 2. und zu 3. hätten den Beklagten zu 4. zumindest eine Stunde früher herbeirufen müssen, damit dieser dann sogleich die Geburt hätte einleiten können. Nach der Geburt habe es der Beklagte zu 4. versäumt, die Verhältnisse durch eine ...