Entscheidungsstichwort (Thema)

Ärztliche Aufklärung bei allenfalls relativer Operationsindikation - Kreuzbandplastik bei 52-jähriger Patientin ohne sportliche Ambitionen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die präoperative Aufklärung ist mangelhaft, wenn der vorgesehene Eingriff lediglich eine von mehreren Optionen darstellt und dem Patienten diese Optionen mit ihren jeweiligen Belastungen und Erfolgschancen nicht verdeutlicht werden. Das gilt auch dann, wenn ein zweifelsfrei indizierter Eingriff (hier: Meniskus - Teilresektion) um eine nicht zwingend erforderliche Maßnahme im selben Gelenk erweitert werden soll (hier: Kreuzbandplastik). Bei einem Patient mittleren Alters ohne nennenswerte, das Kniegelenk belastende sportliche Ambitionen kann eine Kreuzbandinsuffizienz nämlich auch konservativ behandelt werden.

2. Eine mangels sachgemäßer Aufklärung rechtswidrig vorgenommene Operation, die abgesehen von den Belastungen durch den Eingriff ohne schädliche Folgen geblieben ist (hier: Kreuzbandplastik), rechtfertigt ein Schmerzensgeld von 3.000 EUR.

 

Normenkette

BGB §§ 249, 253, 276, 280, 611, 823; ZPO § 286

 

Verfahrensgang

LG Koblenz (Urteil vom 23.07.2014; Aktenzeichen 10 O 28/12)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 10. Zivilkammer des LG Koblenz vom 23.7.2014 in Zurückweisung des weiter gehenden Rechtsmittels dahin geändert, dass die Beklagten unter Abweisung der Klage im Übrigen als Gesamtschuldner verurteilt werden, an die Klägerin

a) ein Schmerzensgeld von 3.000 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.4.2010

b) materiellen Schadensersatz von 1.899,74 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.463 EUR seit dem 24.12.2010 sowie aus 436,74 EUR seit dem 26.4.2012 zu zahlen.

2. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 22/23 und die Beklagten als Gesamtschuldner 1/23.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Zwangsvollstreckung der Gegenseite gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht Sicherheit in entsprechender Höhe gestellt wird.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die - damals 52-jährige - Klägerin stellte sich am 13.3.2009 mit Schwellungen und Schmerzen im linken Kniegelenk, zu denen es nach Kraftübungen gekommen war, bei ihrem Hausarzt vor. Daraufhin wurde ein MRT veranlasst. Es zeigte einen Riss im Innenmeniskus - Hinterhorn.

Nachdem am 16.3.2014 im Krankenhaus der Beklagten zu 1. - letztlich erfolglos - versucht worden war, mit einer Infiltrationsbehandlung eine Schmerzlinderung herbeizuführen, stellte man dort am 20.3.2009 die Indikation für eine Meniskus-Teilresektion und setzte dafür den 13.5.2009 fest. Im Hinblick darauf fand sich die Klägerin am 4.5.2009 zu einem Informationsgespräch ein, das der Beklagte zu 3. mit ihr führte. Dabei unterzeichnete sie einen Aufklärungsbogen zur Kniegelenksarthroskopie und einer nachfolgenden Operation. Am 12.5.2009 ergänzte der Beklagte zu 2., der den Eingriff am Folgetag vornahm, den Bogen nach einer Unterredung mit der Klägerin um den Vermerk, dass "nochmals" über eine Erweiterung der Operation hin zur Einbringung einer Plastik des vorderen Kreuzbands aufgeklärt worden sei. Eine solche Plastik wurde dann begleitend zu der Meniskus-Teilresektion unter Blutleere gesetzt.

Die Klägerin hat vorgetragen, das Vorgehen auf Seiten der Beklagten sei mangelhaft gewesen: Der Meniskusriss sei nicht behoben worden und für eine Kreuzbandoperation, die ihr entgegen der Darstellung der Beklagten nicht schon am 4.5.2009, sondern erstmals am 12.5.2009 in Aussicht gestellt worden sei, habe keine Indikation bestanden. Ein Vergleich der Stabilität des linken und des rechten Knies unter Narkose, der insoweit hätte Aufschluss geben können, sei vorwerfbar versäumt worden. Konservative Behandlungsalternativen habe man überhaupt nicht zur Sprache gebracht. Im Anschluss an den Eingriff sei eine histologische Untersuchung des resezierten Meniskusgewebes fehlerhaft unterblieben.

Aufgrund der Operation vom 13.5.2007 sieht sich die Klägerin dauerhaft geschädigt: Ihr linker Unterschenkel sei immobil geworden, und dort habe sich auch eine Thrombose entwickeln können. Eine Fortbewegung sei ihr nur noch mit Gehhilfen möglich. Darüber hinaus sei es zu psychopathologischen Folgeerscheinungen gekommen. Vor diesem Hintergrund hat die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines mit mindestens 30.000 EUR zu beziffernden Schmerzensgeldes und - zum Ausgleich der Kosten prozessvorbereitender Gutachten sowie der Kopie von Behandlungsunterlagen - einer materiellen Ersatzforderung von 1.899,74 EUR beantragt. Darüber hinaus hat sie die Feststellung der weiter gehenden Haftung der Beklagten begehrt.

Das LG hat zum Geschehenshergang eine Parteianhörung der Klägerin sowie der Beklagten zu 2. und zu 3. durchgeführt und einen bei der Beklagten zu 1. tätigen Arzt sowie den Ehemann der Klägerin als Zeugen gehört. Außerdem hat es ein...

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