Entscheidungsstichwort (Thema)
Ärztliche Aufklärungspflicht bei unterschiedlichen Operationstechniken; hypothetische Einwilligung bei lückenhafter Risikoaufklärung; Beweisfolgen der Vernichtung von Behandlungsunterlagen; keine Sachverständigenanhörung zu Rechtsfragen
Leitsatz (amtlich)
1. Über unterschiedliche Operationstechniken (hier: zur Behandlung einer zervikalen Spinalkanalstenose) muss der Arzt den Patient nicht aufklären, falls die Chancen und Risiken sämtlicher Operationsmethoden nahezu identisch sind (hier: Vertebrektomie vs. Laminoplastie oder Laminektomie - Abgrenzung zum Senatsurteil 5 U 976/13 vom 15.10.2014).
2. Eine unterbliebene oder lückenhafte Risikoaufklärung ist nicht haftungsrelevant, falls die persönliche Anhörung des Patienten ergibt, dass die versäumten zusätzlichen Informationen an seiner Operationseinwilligung nichts geändert hätten. Bei der Würdigung des Anhörungsergebnisses kann im Einzelfall auch zu berücksichtigen sein, dass eine ärztliche Zweitmeinung dem Patient angesichts der Dramatik des Befundes keine weiteren Erkenntnisse hätte vermitteln können.
3. Hat der Arzt Behandlungsunterlagen vernichtet, führt das gleichwohl nicht zu einer Beweiserleichterung bis hin zur Beweislastumkehr, wenn nach den gesichert verbliebenen Befunden keinerlei Anhalt besteht, dass sich aus den fehlenden Unterlagen etwas zugunsten des Patienten ergeben könnte.
4. Dem Antrag auf Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen ist grundsätzlich zu entsprechen. Von der mündlichen Befragung eines medizinischen Gutachters im Arzthaftungsprozess darf jedoch abgesehen werden, wenn er sich nach dem gegenständlich eingeschränkten Anhörungsantrag nur zu Rechtsfragen äußern soll, die nicht in seine Fach- und Entscheidungskompetenz fallen.
Normenkette
BGB §§ 249, 253, 276, 280, 611, 823; ZPO §§ 286, 411 Abs. 3
Verfahrensgang
LG Koblenz (Urteil vom 18.06.2014; Aktenzeichen 10 O 84/12) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 10. Zivilkammer des LG Koblenz vom 18.6.2014 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung des Beklagten gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte Sicherheit i.H.v. 110 % des Vollstreckungsbetrages stellt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Der Beklagte ist als Neurochirurg belegärztlich tätig. Am 20.11.2009 stellte sich der Kläger mit Gangstörungen und Kribbelparestesien in seiner Ambulanz vor und überreichte ein CT der Halswirbelsäule. Daraus ergab sich der Befund einer zervikalen Spinalkanalstenose mit Zeichen einer Myelopathie. Der Beklagte riet nachdrücklich zu einem operativen Eingriff.
Die Operation fand am 30.11.2009 im Rahmen eines stationären Aufenthalts statt. Der Beklagte nahm zur Entlastung des Spinalkanals ventral eine Vertebrektomie bei C 5 unter Einbringung eines Wirbelkörperersatzes aus Kunststoff vor. Anschließend kam es zu einer kurzzeitigen Besserung des Beschwerdebilds, ehe sich die Dinge chronisch verschlechterten.
Der Kläger ist heute fundamental behindert. Eine anhaltende Hemiparese mit Kraft- und Koordinationsminderungen sowie sensorischen Ausfällen verweist ihn durchweg auf den Rollstuhl. Daneben liegen Blasen- und Darmentleerungsstörungen vor.
Diese Situation hat der Kläger auf den Eingriff vom 30.11.2009 zurückgeführt. Er hat dem Beklagten vorgeworfen, ihn ohne Not vorgenommen zu haben. Konservative Behandlungsmethoden seien ebenso außer Betracht geblieben wie ein weniger belastendes operatives Vorgehen. Im Vorfeld habe es keinerlei Aufklärung über die Art, Chancen und Risiken der Operation gegeben. Im Hinblick darauf hat der Kläger die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung eines mit mindestens 175.000 EUR zu beziffernden Schmerzensgeldes und die Feststellung der weiter gehenden Haftung beantragt.
Das LG hat ein Sachverständigengutachten eingeholt und die Parteien mit Blick auf die präoperative Aufklärung des Klägers angehört. Sodann hat es die Klage abgewiesen. Seiner Ansicht nach war der Eingriff vom 30.11.2009 dringlich indiziert. Fehler in seiner Ausführung seien nicht ersichtlich. Freilich lasse sich eine ordnungsgemäße Eingriffs- und Risikoaufklärung des Klägers nicht feststellen. Aber man müsse angesichts der Notwendigkeit der Operation von dessen hypothetischer Einwilligung ausgehen.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger in Erneuerung seines erstinstanzlichen Begehrens mit der Berufung. Er wirft dem Beklagten weiterhin Aufklärungsversäumnisse vor und bestreitet die vom LG bejahte hypothetische Einwilligung auf seiner Seite. Außerdem habe der Beklagte intraoperativ den Spinalkanal geschädigt. Die einschlägigen Unterlagen habe er vernichtet.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und den Inhalt der Gerichtsakten im Übrigen Bezug genommen.
II. Das Rechtsmittel ist ohne Erfolg. Es verbleibt bei dem klageabweisenden Urteil des LG. Der Beklagte haftet dem Kläger weder vertraglich noch deliktisch.
Feh...