Leitsatz (amtlich)

1. Der Käufer eines Neufahrzeugs mit Dieselmotor EA 189 hat nach Verjährung des deliktsrechtlichen Schadensersatzanspruchs einen Erstattungsanspruch nach § 852 Satz 1 BGB.

2. Der Anspruch nach § 852 Satz 1 BGB kann auch vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten umfassen.

3. In den sogenannten Dieselfällen fehlt es für den Antrag auf Feststellung, dass der Schadensersatzanspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung herrührt, an dem erforderlichen Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO.

 

Normenkette

BGB § 852 S. 1; ZPO § 256 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Mainz (Urteil vom 12.02.2021; Aktenzeichen 1 O 189/20)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 10.10.2022; Aktenzeichen VIa ZR 542/21)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 12.02.2021 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses des Senats vom 26.08.2021 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 16.645,45 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Betrag von 17.701,95 EUR, der sich Tag für Tag linear auf 16.645,45 EUR ermäßigt, für die Zeit vom 23.10.2020 bis zum 25.08.2021 sowie aus einem Betrag von 16.645,45 EUR seit dem 26.08.2021 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs der Marke ... vom Typ ... mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN) ... nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein und Kfz-Brief (Zulassungsbescheinigung Teil I und II).

Die Beklagte wird weiter verurteilt, die Klägerin von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.072,77 EUR freizustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

2. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben die Klägerin 15 % und die Beklagte 85 % zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden zu 16 % der Klägerin und zu 84 % der Beklagten auferlegt.

4. Dieses und - soweit es Bestand hat - das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

5. Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Kauf eines von der Beklagten hergestellten Neuwagens, der mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 189 ausgestattet ist.

Aufgrund einer Bestellung vom 06./14.05.2014 erwarb die Klägerin beim Autohaus ...[A] GmbH in ...[Z] einen fabrikneuen Pkw ... mit EA 189-Dieselmotor zum Preis von 27.750 EUR mit einer Laufleistung von 0 km.

Die bei den von der Beklagten hergestellten Motoren der Baureihe EA 189 verwendete Software erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird, und schaltet in diesem Fall in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxid (NOx)-optimierten Modus. In diesem Modus findet eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltet der Motor dagegen in den Abgasrückführungsmodus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist. Für die Erteilung der Typgenehmigung der Emissionsklasse Euro 5 maßgebend war der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand. Die Stickoxid-Grenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur im Abgasrückführungsmodus 1 eingehalten.

Im September 2015 räumte die Beklagte öffentlich die Verwendung der vorbeschriebenen Software in den Dieselmotoren der Baureihe EA 189 ein. Unter dem 15.10.2015 erging gegen sie deshalb ein bestandskräftiger Bescheid des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) mit nachträglichen Nebenbestimmungen zur Typgenehmigung. Das KBA ging vom Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus und gab der Beklagten auf, diese zu beseitigen und die Einhaltung der maßgeblichen Grenzwerte anderweit zu gewährleisten. Im Jahre 2016 wandte sich die Beklagte deswegen mit einem Informationsschreiben u.a. auch an die Klägerin und unterrichtete sie über das geplante Update sowie den mit dem KBA abgestimmten Zeit- und Maßnahmenplan. Das zur Beseitigung der Abschalteinrichtung entwickelte Software-Update wurde auf das Fahrzeug der Klägerin aufgespielt.

Die Vertreter der Klägerin forderten die Beklagte mit Schreiben vom 20.08.2020 (Anlage K 29, LG 305 ff.) erfolglos zur Rücknahme des Fahrzeugs gegen Zahlung eines Schadensersatzbetrags von 27.750 EUR, ggf. unter Abzug eines Nutzungsersatzes auf der Basis einer zu erwartenden Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 300.000 km für die bis zu diesem Zeitpunkt gefahrenen 88.100 km auf. Der Musterfeststellungsklage schloss sich die Klägerin ...

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