Leitsatz (amtlich)
›1. Bei mangelgeborenen Kindern, namentlich bei Zwillingen und erst recht bei einem erheblichen Minderwachstum des diskordanten dystrophen Zwillings, ist das Risiko einer kritischen Unterzuckerung (Hypoglykämie) erhöht und letzterenfalls mit etwa 50% anzusetzen. Neugeborene dieser Gefährdungsstufe gehören grundsätzlich umgehend nach der Geburt in fachgerechte neonatologische Betreuung.
2. Wird solch ein Kind in der geburtshilflichen Abteilung belassen, so muss dessen ordnungsgemäße Behandlung dort organisatorisch und fachlich sichergestellt sein. Insbesondere muss gewährleistet sein, dass die erforderlichen Blutzuckerkontrollen erfolgen und Glukosegaben bereitstehen, um eine Blutunterzuckerung rechtzeitig erkennen und umgehend behandeln zu können. Fehlt es daran, dann begründet schon dies einen schweren Behandlungsfehler. Er kann die gerichtliche Feststellung einer Hypoglykämie oder jedenfalls eine zu diesem Ergebnis führende Umkehr der Beweislast zu Gunsten des Kindes rechtfertigen, wenn die gebotene Blutzuckerkontrolle mit großer oder jedenfalls hinreichender Wahrscheinlichkeit ein reaktionspflichtiges positives Ergebnis gezeigt hätte und wenn sich die Verkennung dieses Befunds als fundamental oder die Nichtreaktion hierauf als grob fehlerhaft darstellten würde.
3. Erleidet ein Kind durch sich der Geburt unmittelbar anschließende ärztliche Kontroll- und Behandlungsdefizite eine schwerste psychomotorische Retardierung mit Tetraspastik und linksseitiger Hirnschädigung unter Einbeziehung der Sehrinde, entwickelt es keine sprachliche Kommunikation, benötigt es einen Rollstuhl und wird es zeitlebens auf die Hilfe anderer in höchstem Maße angewiesen sein, so ist ein Schmerzensgeld in Höhe von 300.000 EUR angemessen.‹
Tatbestand
Die 1963 geborene Mutter des Klägers, die schon am 4. August 1985 komplikationslos durch Spontangeburt eine Tochter gesund geboren hatte, begab sich am 3. August 1987 zur Entbindung einer Zwillingsschwangerschaft um 22.45 Uhr in das St. J.....-Krankenhaus P.... Vorbehandelnder Facharzt für Gynäkologie war der Beklagte zu 2). Dieser betrieb neben seiner ambulanten Facharztpraxis zugleich auch als Belegarzt eine gynäkologische Abteilung in dem vorbezeichneten Krankenhaus. Der Beklagte zu 1), ebenfalls ein Facharzt für Gynäkologie, hatte sich mit dem Beklagten zu 2) vertraglich zu einer Praxisgemeinschaft verbunden, wobei eine getrennte Abrechnung gegenüber den Patienten vereinbart war. In den schon früher zwischen dem Krankenhaus und dem Beklagten zu 2) abgeschlossenen Belegarztvertrag war er zwar nicht eingetreten. Er war aber vertraglich gegenüber dem Beklagten zu 2) verpflichtet, für diesen auch im Krankenhaus tätig zu sein, und zwar entsprechend einer auf dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Gleichverpflichtung beruhenden Arbeitsaufteilung, insbesondere also im turnusmäßigen Nachtdienst, im Wochenenddienst sowie bei den Vertretungen. Dafür waren ihm vom Beklagten zu 2) 50% des aus der Krankenhaustätigkeit erwirtschafteten Gewinnes zugestanden worden. Die Arztbereitschaft oblag in der Nacht vom 3. auf den 4. August 1987 dem Beklagten zu 1). Es ist streitig, wann und wie oft die Beleghebamme, die Zeugin C...... H....., die auch die Krankenhausaufnahme der Mutter des Klägers durchführte, telefonisch das Erscheinen des Beklagten zu 1) auf der Entbindungsstation erbeten hatte. Jedenfalls erschien der Beklagte zu 1), als die Geburt des ersten Zwillings schon im Gange war. Dieser, der Bruder T..... des Klägers, wurde am 4. August 1987 um 2.22 Uhr spontan geboren, und zwar mit einem Geburtsgewicht von 2450 g, einer Körperlänge von 48 cm und einem Kopfumfang von 34 cm. Beim Kläger als dem zweiten Zwilling erfolgte der Blasensprung gegen 2.28 Uhr; das abgehende Fruchtwasser war dunkelgrün. Die Geburt erfolgte um 2.30 Uhr aus einer Beckenendlage. Das Geburtsgewicht des Klägers betrug 1900 g, die Länge 47 cm und der Kopfumfang 33 cm. Der vom Beklagten zu 1) im Detail erhobene Apgar-Wert wurde von ihm im Babyjournal (Bl. 559 GA) mit 6/7/10 (1/2/5 min.) notiert. Ein Kinderarzt war bei der Geburt nicht zugegen. Die Erstinspektion (U 1) erfolgte durch den Beklagten zu 1), der hierüber unter dem 4. August 1987 den entsprechenden Eintrag im Untersuchungsheft für Kinder (gelbes Vorsorgeheft) vornahm (Bl. 580 GA). Eintragungen über kinderärztliche Befunde finden sich in den Krankenunterlagen nicht. Zwar war die Streithelferin des Klägers als Kinderärztin jedenfalls einmal, nämlich am 6. August 1987, im Krankenhaus. Inhalt und Übermittlung ihrer Befunde sind aber streitig. Sie hat weder im gelben Vorsorgeheft die U 2-Untersuchung beurkundet noch wegen des Ergebnisses ihrer Untersuchung mit einem der beiden Beklagten gesprochen.
Am Morgen des 7. August 1987 wurde von der ihren Frühdienst antretenden Zeugin L... festgestellt, dass es dem Kläger "ganz schlecht" ging. Nach Verständigung des Beklagten zu 2) veranlasste dieser mit den Begründungen "Unreife, Cyanose und Trinkschwäche" die Neuge...