Entscheidungsstichwort (Thema)
Persönliche Haftung des Vorstands einer AG auf Erstattung einer insolvenznah geleisteten Kaufpreisanzahlung
Leitsatz (amtlich)
1. Auf Erstattung einer insolvenznah an eine Aktiengesellschaft geleisteten Kaufpreisanzahlung haftet der Vorstand der AG nur dann persönlich, wenn ein für die Anzahlung ursächlicher Verstoß gegen § 92 Abs. 2 AktG feststeht.
2. Die Dreiwochenfrist des § 92 Abs. 2 AktG beginnt erst, wenn der Vorstand von der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung Kenntnis hat (Abgrenzung zu BGH v. 29.11.1999 - II ZR 273/98, BGHZ 143, 184 = MDR 2000, 341 = GmbHR 2000, 182).
3. § 93 AktG und § 130 OWiG sind keine Schutzgesetze i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB.
4. Zu Inhalt und Umfang der gerichtlichen Hinweispflicht bei unstreitigem Tatsachenvortrag.
Verfahrensgang
LG Koblenz (Urteil vom 09.06.2004; Aktenzeichen 3 O 220/03) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 3. Zivilkammer des LG Koblenz vom 9.6.2004 geändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die Klägerin nimmt die Beklagten als ehemalige Vorstandsmitglieder des Möbelhauses R. AG (im Folgenden: AG) auf Zahlung von 5.112,92 Euro in Anspruch. Diesen Betrag leistete die Klägerin am 8.1.2002 an die AG als Anzahlung für eine am 28.12.2001 gekaufte Einbauküche. Über das Vermögen der AG wurde aufgrund eines Antrages vom 18.1.2002 im März 2002 das Insolvenzverfahren eröffnet. Den Kaufvertrag mit der Klägerin erfüllten weder die AG noch der Insolvenzverwalter. Der Anspruch der Klägerin auf Erstattung der geleisteten Anzahlung ist wirtschaftlich wertlos.
Die Klägerin hat vorgetragen, für die verlorene Anzahlung hafteten die Beklagten persönlich. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages habe die AG schon längere Zeit keine Löhne mehr an die Angestellten gezahlt. Die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft sei den Beklagten seit langem bekannt gewesen. Durch Verschleierung dieses Sachverhalts hätten die Beklagten sie vorsätzlich getäuscht und geschädigt.
Die Beklagten haben erwidert, zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit der Klägerin habe es keine Hinweise für die drohende Insolvenz gegeben. Erst eine Kreditkündigung am 10.1.2002 habe die AG unmittelbar in die Krise geführt.
Das LG hat die Akten des Insolvenzverfahrens eingesehen und den Ehemann der Klägerin als Zeugen zu der Frage gehört, welche Erklärungen der die Vertragsverhandlungen führende Angestellte der AG über rückständige Gehaltszahlungen abgegeben habe. Sodann hat das LG der Klage weitgehend stattgegeben. Zur Begründung hat die Einzelrichterin ausgeführt, die Beklagten seien nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB schadensersatzpflichtig. Da die Mitarbeiter der AG das Gehalt im Dezember 2001 nicht mehr erhalten hätten, erfülle es den Tatbestand des Betruges, dass Anfang Januar 2002 die Anzahlung entgegengenommen worden sei.
Dagegen wenden sich die Beklagten mit der Berufung. Das Dezembergehalt der Mitarbeiter sei erst Ende Dezember 2001 fällig gewesen. Aus der Nichtzahlung könnten daher keine Folgerungen für den zuvor geschlossenen Kaufvertrag mit der Klägerin gezogen werden. Die Lieferung der bestellten Küche sei im Dezember 2001 gesichert gewesen. Es fehle an den objektiven und subjektiven Tatbestandvoraussetzungen des § 263 StGB.
Die Klägerin verteidigt die Entscheidung des LG und verweist auf die Bilanz, die zum 31.12.2001 eine Überschuldung von 6.537 858 DM ausweise.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
II. Die zulässige Berufung hat Erfolg. Die Beklagten sind der Klägerin unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt schadensersatzpflichtig.
1. Gegen die Beklagten besteht kein Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens bei Vertragsschluss. Die Klägerin hat Vertragsverhandlungen nur mit der AG und nicht mit den Beklagten geführt. Bei einer solchen Sachlage kommt eine Eigenhaftung des Vorstandes aus dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluss nur in Betracht, wenn er entweder wirtschaftlich selbst stark an dem Abschluss des Vertrages interessiert war und aus dem Geschäft einen eigenen Nutzen erstrebte oder in besonderem Maße persönliches Vertrauen in Anspruch nahm (zum GmbH-Geschäftsführer BGH v. 29.1.1992 - VIII ZR 80/91, MDR 1992, 939 = NJW-RR 1992, 605).
Keine dieser Voraussetzungen ist hier erfüllt. Die Beklagten haben selbst keine Verhandlungen geführt und auch kein persönliches Vertrauen für die Erfüllung des Kaufvertrages in Anspruch genommen.
2. Ein Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung der Klägerin (§ 826 BGB), Verletzung eines Schutzgesetzes (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 92 Abs. 2 AktG) oder gar Betruges (§ 823 Abs. 2 i.V.m. § 263 StGB) besteht ebenfalls nicht.
Eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung i.S.v. § 826 BGB kann bei Geschäften der hier getätigten Ar...