Entscheidungsstichwort (Thema)
Belehrungspflicht des Rechtsanwalts vor Abfindungsvergleich; Wirkungen einer zweitinstanzlichen Streitverkündung bei späterer Berufungsrücknahme
Leitsatz (amtlich)
1. Grundsätzlich hat ein Rechtsanwalt auch den rechtskundigen und geschäftserfahrenen Mandanten über die besonderen Risiken eines Abfindungsvergleichs zu belehren.
2. Dass die Belehrung unterblieben ist, hat im Haftpflichtprozess gegen den Anwalt der Mandant zu beweisen.
3. Die verjährungshemmende Wirkung einer zweitinstanzlichen Streitverkündung entfällt nicht dadurch, dass der Berufungsführer sein Rechtsmittel später zurücknimmt. Die Dauer der Hemmung richtet sich nach § 204 Abs. 2 BGB.
Normenkette
BGB §§ 195, 200, 204 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2, §§ 209, 214, 280, 675; ZPO §§ 72-74, 511, 516
Verfahrensgang
LG Mainz (Urteil vom 08.03.2005; Aktenzeichen 2 O 447/02) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 8.3.2005 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des LG Mainz wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen mit Ausnahme der Kosten, die dem Streithelfer entstanden sind. Diese trägt der Streithelfer selbst.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 115 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin beansprucht von der beklagten Rechtsanwältin Schadensersatz i.H.v. 42.705,34 EUR aus dem Gesichtspunkt einer anwaltlichen Pflichtverletzung.
1. Die Klägerin war Beklagte im Rechtsstreit LG Mainz ... (künftig O. und A. bzw. Klägerin). Sie hatte Chlor- und Entchlorungstabletten zum Preis von 137.463,94 DM bestellt und geliefert erhalten. Diese Tabletten sollten der Trinkwasseraufbereitung für Soldaten des österreichischen Bundesheeres dienen. Die Abwicklung des Auftrages verlief von Anfang an schwierig und zwar wegen Qualitätsproblemen der Tabletten. Nachdem die Klägerin keinerlei Zahlung erbracht hatte, erhob O. Klage auf Zahlung des Kaufpreises. Auf ein Anerkenntnis i.H.v. 27.260 DM nebst Zinsen erging antragsgemäß Teilanerkenntnisurteil.
Die Klägerin, seinerzeit vertreten durch die hier beklagte Rechtsanwältin, hatte die darüber hinaus gehende Klageabweisung im Wesentlichen damit begründet, O. habe sich in Lieferverzug befunden. Die gelieferten Tabletten seien mangelhaft gewesen. Wegen deren unzureichenden Lösungszeiten habe das österreichische Verteidigungsministerium die Abnahme verweigert. Darüber hinaus seien die Tabletten nicht ausreichend hitzebeständig und mangelhaft verpackt gewesen. Preisnachlässe ggü. dem Endabnehmer und Mängelbeseitigungskosten würden der Kaufpreisforderung durch Aufrechnung entgegengestellt.
Im Termin vom 11.5.1999 schlossen die Parteien folgenden Vergleich:
"1. Die Beklagte zahlt zur Abgeltung der Klageforderung über den durch Teilanerkenntnisurteil der Kammer vom 24.2.1999 ausgeurteilten Betrag hinaus weitere 32.500 DM an die Klägerin.
2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Parteien zu je ½.
3. Damit sind sämtliche Ansprüche der Parteien gegeneinander abgegolten. ..."
Auf das auf Veranlassung der Klägerin (damalige Beklagte) fortgesetzte Verfahren hat das LG durch Urteil vom 29.1.2002 festgestellt, dass der Rechtsstreit durch den Prozessvergleich vom 11.5.1999 beendet ist und dass dieser nicht wirksam angefochten wurde. Sachlicher Hintergrund waren weitere Mängelrügen der Klägerin und die Rechtsauffassung, künftige Gewährleistungsansprüche habe der Vergleich nicht erfasst.
Am 6.3.2002 legte die Klägerin Berufung gegen dieses Urteil ein. Am selben Tag wurde die gegen die beklagte Rechtsanwältin gerichtete Streitverkündungsschrift der Klägerin zugestellt. Die jetzige Beklagte bestätigte den Empfang am 12.3.2002 durch anwaltliches Empfangsbekenntnis. Ihr Beitritt auf "Beklagtenseite" erfolgte am 13.3.2002. Nach Verlängerung der Berufungsbegründung bis zum 8.6.2002 ist die Berufung am 10.6.2002 zurückgenommen worden.
2. Im hier zu entscheidenden Haftungsprozess hat die Klägerin im Wesentlichen geltend gemacht:
Ihr stünden ggü. der Beklagten (Rechtsanwältin) Schadensersatzansprüche zu, da diese bei Abschluss des Vergleichs im Vorprozess nicht dafür Sorge getragen habe, dass der Klägerin auch etwaige in Zukunft entstehende Gewährleistungsansprüche erhalten geblieben seien. Es sei kein Hinweis darauf erfolgt, dass die Ausschlusswirkung auch künftige Ansprüche erfasse. Ihr stünden Schadensersatzansprüche i.H.v. 42.705,34 EUR zu.
Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben und vorgebracht:
Ein durchgreifendes Argument, dem Vergleich zuzustimmen, sei für die Klägerin gewesen, dass die Beziehungen der Parteien endgültig abgeschlossen seien. Sie habe weder von der Firma O. weiter in Anspruch genommen werden sollen, noch mit dieser weiter zusammenarbeiten wollen. Die Klägerin habe bei Abschluss des Vergleichs gewusst, dass keine Ansprüche mehr hätten geltend gemacht werde...