Leitsatz (amtlich)
Werden Polizeibeamte von mehreren Personen massiv bedroht und erleiden sie auch infolge des durch Notwehr gerechtfertigten abwehrenden Schusswaffeneinsatzes eine sachverständig festgestellte chronische posttraumatische Belastungsstörung, so ist dieser Schaden den Angreifern zuzurechnen.
Normenkette
BGB §§ 227, 249 Abs. 1, 2 S. 1
Verfahrensgang
LG Koblenz (Urteil vom 27.07.2006; Aktenzeichen 1 O 108/03) |
Tenor
Die Beklagten zu 1., 2. und 3. werden in Abänderung und unter Neufassung des am 27.7.2006 verkündeten Urteils der 1. Zivilkammer des LG Koblenz als Gesamtschuldner verurteilt, an das klagende Land einen Betrag i.H.v. 119.617 EUR nebst 8,62 % Zinsen p. a. seit dem 13.7.2002 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1., 2. und 3. als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem klagenden Land jeden weiteren nach dem 24.1.2003 entstandenen Schaden aus dem Schadensereignis vom 28.8.1999 zu ersetzen, soweit nicht ein Forderungsübergang auf einen Sozialversicherungsträger erfolgt ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung des klagenden Landes wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens vor dem LG tragen die Beklagten zu 1., 2. und 3. als Gesamtschuldner.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten zu 1., 2. und 3. als Gesamtschuldner 93,5 % und das klagende Land 6,5 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht das klagende Land zuvor Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Das klagende Land ist Dienstherr des inzwischen aus dem Dienst ausgeschiedenen Polizeibeamten S und des Polizeibeamten L. Es begehrt Ersatz geleisteter Aufwendungen (Dienstbezüge u.a.) sowie die Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für weitere Schäden.
In der Nacht vom 27. auf den 28.8.1999 wurden die Polizeibeamten S und L zur Gaststätte "Zur Krone" in N gerufen, wo es zu einem Streit der alkoholisierten Beklagten mit dem Wirtsehepaar und auch zu körperlichen Übergriffen der Beklagten auf andere Gäste gekommen war. Vor Ort trafen die Beamten etwa 15 bis 25 teilweise stark alkoholisierte und aggressive Personen an; darunter befanden sich auch die Beklagten, die die Gaststätte inzwischen verlassen hatten. Den beiden Polizeibeamten gelang es nicht, die aufgeheizte Stimmung zu entschärfen und die Auseinandersetzung zu beenden. Sie wurden selbst in die Auseinandersetzung mit hineingezogen. Nachdem sich die Situation zunächst etwas beruhigt hatte, bewegten sich die Beklagten gemeinsam auf den Zeugen S zu, ohne auf dessen Aufforderung stehenzubleiben, zu reagieren. Um sie zu stoppen, gab der Zeuge S mit seiner Dienstpistole drei Warnschüsse in die Luft ab. Die Beklagten zu 1., 2. und 3. kamen weiter auf den Zeugen zu, der ihnen daraufhin gezielt in die Beine schoss. Unterdessen stand der Zeuge L mit gezogener Dienstwaffe circa zwei bis drei Meter vom Ort des Geschehens entfernt. Körperliche Verletzungen haben die Beamten bei dem Vorfall nicht davongetragen.
Beide Polizeibeamten versahen ihren Dienst zunächst bis Januar 2000 weiter. Der Zeuge S war ab dem 4.2.2000 dienstunfähig. In der Folgezeit wurde er stationär und ambulant behandelt. Mit Bescheid vom 1.7.2001 wurde er in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Der Zeuge S hatte bereits vor dem streitgegenständlichen Vorfall im Jahre 1985 anlässlich eines Einsatzes und einer Bedrohungssituation von seiner Schusswaffe Gebrauch machen müssen. Ab dem 24.1.2000 war der Zeuge L dienstunfähig und wurde stationär und ambulant behandelt. Vom 17.10.2000 an war er wieder eingeschränkt dienstfähig, wobei er in der Nachtschicht nicht eingesetzt werden durfte. Seit dem 1.1.2001 ist der Zeuge L wieder uneingeschränkt dienstfähig.
Die Beklagten wurden vom AG L rechtskräftig wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen und wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte zu Freiheitsstrafen (auf Bewährung) verurteilt. Dem lagen im Wesentlichen die Geständnisse der Beklagten zugrunde.
Das klagende Land hat vorgetragen:
Die Beklagten zu 1. bis 3. hätten die beiden Beamten umzingelt und dabei körperlich sowie verbal mit größter Aggressivität angegriffen. Es habe eine konkrete Gefahr für Leib und Leben der beiden Beamten bestanden. Infolge des Verhaltens der Beklagten und des durch ihre Vorgehensweise ausgelösten, gerechtfertigten Schusswaffengebrauchs durch den Zeugen S hätten die Polizeibeamten eine chronische posttraumatische Belastungsreaktion, ein sog. Post-Shooting-Syndrom erlitten. Als Folge hieraus sei ihm, dem klagenden Land, ein erheblicher Schaden entstanden, da es die Bezüge beider Beamter fortbezahlt und die Behandlungskosten übernommen habe. Für den Zeugen S seien bis zur Klageerhebung 81.410,74 EUR und für den Polizeibeamten L 38.206,26 EUR aufgewandt worden. Für die weiter entstehenden Schäden seien die Beklagten gleichfalls zu Ersatz verpflicht...