Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufklärungspflicht bei Hirntumorpatient mit Beschwerden mehrdeutiger Genese; Beweislast bei fehlendem OP-Bericht; Haftung des beratenden Assistenzarztes, der die Vorgaben seines Chefarztes umsetzt
Leitsatz (amtlich)
1. Treten bei einem Jahrzehnte zuvor wegen eines Hirntumors mehrmals operierten Patient Ausfälle auf, deren Ursache eine akute andere Erkrankung sein kann (hier: Grippe), muss auch das in die Überlegungen vor einer erneuten neurochirurgischen Intervention einbezogen werden. Dabei hat der Arzt auch darüber aufzuklären, dass die Risikodichte mit jedem weiteren Eingriff zunimmt und auch aus diesem Grund eine abwartende Haltung mit engmaschiger Verlaufskontrolle eine in Betracht kommende Behandlungsalternative ist.
2. Ist der Verlauf eines Eingriffs nicht genau aufzuklären, weil der Arzt infolge einer unmittelbar nach der OP eingetretenen eigenen Erkrankung außerstande war, einen Operationsbericht zu fertigen, rechtfertigt das nicht ohne weiteres eine Reduzierung der Darlegungspflicht des Patienten oder gar eine Umkehr der Beweislast.
3. Ein Assistenzarzt haftet nicht für die Folgen einer Operation, wenn er bei der Erstberatung eines Privatpatienten, der eine Wahlleistungsvereinbarung mit dem Chefarzt getroffen hat, dessen Vorgaben für derartige Behandlungsfälle umsetzt, sofern die Operationsindikation erst anschließend von dem persönlich leistungspflichtigen Chefarzt zu treffen ist, dem dann auch die Risikoaufklärung obliegt (Abgrenzung zu BGH VI ZR 37/79 und VI ZR 74/05).
Normenkette
BGB §§ 249, 253, 276, 278, 280, 611, 613, 823, 831; ZPO §§ 286-287
Verfahrensgang
BGH (Beschluss vom 26.04.2016; Aktenzeichen VI ZR 414/14) |
LG Mainz (Urteil vom 28.01.2014; Aktenzeichen 2 O 335/10) |
Tenor
1. Unter Zurückweisung der Berufung der Zweitbeklagten... wird das Urteil der 2. Zivilkammer des LG Mainz vom 28.1.2014 auf die Berufung des Viertbeklagten Dr. med...teilweise geändert und die gegen ihn gerichtete Klage abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Beklagten Dr. med... beider Instanzen zu tragen.
Im Übrigen bleibt die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens dem Schlussurteil des LG vorbehalten.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger und die Beklagte... dürfen die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, es sei denn der jeweilige Vollstreckungsgläubiger leistet entsprechende Sicherheit.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Wegen einer am 12.3.2007 vom damaligen Chefarzt der Neurochirurgie durchgeführten Operation hat der 1959 geborene Kläger in erster Instanz neben dem Universitätsklinikum (Erstbeklagte) und zwei seinerzeit dort tätigen Ärzten (Dritt- und Viertbeklagter) auch die Zweitbeklagte als Witwe und Alleinerbin des 2009 verstorbenen Chefarztes auf Zahlung materiellen und immateriellen Schadensersatzes sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht für entsprechende Zukunftsschäden in Anspruch genommen.
Während die Klage gegen die Erstbeklagte und den Drittbeklagten rechtskräftig abgewiesen ist, hat das LG die Zahlungsklage gegen die Zweitbeklagte (Erbin des Chefarztes) und den Viertbeklagten dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und deren Ersatzpflicht für Zukunftsschäden festgestellt. Dagegen richten sich die Berufungen dieser beiden Beklagten mit dem Ziel der umfassenden Klageabweisung.
Dem liegt im Einzelnen folgender Sachverhalt zugrunde;
Beim Kläger war 1976 im Alter von 16 Jahren ein pylozytisches Astrozytom (langsam und umschrieben wachsender Gehirntumor) operativ entfernt worden (OP-Bericht vom 16.7.1976 - Bl. 177/178 GA). Ein Rezidiv an derselben Stelle musste 1980 beseitigt werden (OP - Bericht vom 17.3.1980 - Bl. 179 GA).
Nachdem der Kläger Anfang 2007 unter einer starken Erkältung zweimal an seinem Arbeitsplatz kollabiert war, diagnostizierte man im Krankenhaus M. zunächst Kreislaufbeschwerden unklarer Genese, fand dann aber in der Bildgebung eine 3,5 X 3,5 cm große Raumforderung im Bereich der ehemaligen Tumorresektionshöhle.
Der Kläger vereinbarte zur Beratung wegen des weiteren Vorgehens Termine in mehreren Krankenhäusern. Als erstes suchte er am 27.2.2007 die Universitätsklinik M. auf, wo der Viertbeklagte in Vertretung des verhinderten Chefarztes in dessen Privatambulanz ein Tumorrezidiv im Bereich der voroperierten Stelle feststellte und dem Kläger zur operativen Entfernung riet.
Hierauf sagte der Kläger die bereits in anderen Krankenhäusern vereinbarten Beratungstermine ab.
Nach stationärer Aufnahme am 6.3.2007 führte der Viertbeklagte am 7.3.2007 mit Blickrichtung auf die geplante Operation ein Aufklärungsgespräch mit dem Kläger (Einwilligungsformular Bl. 180 GA), dem am 8.3.2007 ein Aufklärungsgespräch folgte, das der Drittbeklagte mit dem Patient führte (Einwilligungsformular Bl. 181 GA).
Erstmals in den Abendstunden des 11.3.2007, einem Sonntag, sprach der Chefarzt Prof. Dr. P. mit dem Kläger über den geplanten Eingriff am Folgetag.
Prof. Dr. P. nahm persönlich ...