Leitsatz (amtlich)
Einem Versicherungsnehmer, der den Antrag auf Abschluss einer kapitalbildenden Lebensversicherung vor dem 29.07.1994 gestellt hat, steht ein Widerrufsrecht unter den Voraussetzungen des § 8 Abs. 4 VVG in der bis zum 28.07.1994 geltenden Fassung zu, sofern die Voraussetzungen nach Art. 16 § 11 des Dritten Durchführungsgesetzes/EWG zum VAG vom 21.07.1994 erfüllt sind; § 5a VVG sowie § 8 Abs. 5 VVG in der seit dem 29.07.1994 geltenden Fassung sind in diesem Fall nicht anzuwenden.
Normenkette
VVG § 8
Verfahrensgang
LG Koblenz (Urteil vom 23.09.2022; Aktenzeichen 16 O 244/21) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Einzelrichters der 16. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 23.09.2022 wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund der Entscheidungen vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 41.670,96 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger begehrt die Rückabwicklung von drei Lebensversicherungsverträgen.
Der Kläger beantragte am 20.07.1994 bei dem Beklagten den Abschluss von drei kapitalbildenden Lebensversicherungsverträgen.
Im Antragsformular befand sich jeweils unter der Ziffer IX. ("Schlusserklärungen") Nr. 2. ein umrandetes Feld, das mit in Fettdruck gehaltener Schrift mit Widerrufsrecht überschrieben war und folgende Belehrung enthielt (vgl. zur Gestaltung und den Einzelheiten Anlage B 1):
"Ich kann meinen Antrag auf Kapital-Lebensversicherung und Unfallversicherung innerhalb von 10 Tagen nach seiner/ihrer Unterzeichnung widerrufen, und zwar auch dann, wenn der Versicherer ihn/sie bereits angenommen hat. Mein Widerruf wird nur wirksam, wenn er in schriftlicher Form innerhalb der genannten Fristen beim Versicherer eingegangen ist. (Vgl. auch Nr. 2.3 und 3.4 auf der Rückseite)."
Der Beklagte nahm die Anträge mit Übersendung der jeweils am 04.08.1994 ausgestellten Versicherungsscheine (vgl. Anlagen K1, K8 und K 13) an. Mit Schreiben vom 08.03.2018 (Anlage K6) widersprach der Kläger dem Zustandekommen aller Verträge und erklärte vorsorglich jeweils den Rücktritt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes einschließlich der tatsächlichen Feststellungen und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Verträge seien nicht durch die erklärten Gestaltungsrechte erloschen, denn es sei dem Kläger jedenfalls nach § 242 BGB verwehrt, gegen den Beklagten Ansprüche aus einer Vertragsrückabwicklung geltend zu machen. Denn bei einer Gesamtschau aller drei Verträge erweise sich die Ausübung der Gestaltungsrechte als grob widersprüchlich und treuwidrig. So habe der Kläger seine Ansprüche für den Todesfall aus dem Vertrag mit der Endnummer -... abgetreten. Zudem habe er hinsichtlich dieses Vertrages nachträglich den Einschluss einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung mit dem Beklagten vereinbart. Darüber hinaus habe er bei den Verträgen mit den Endziffern -... und -... der vereinbarten Dynamik widersprochen und jeweils eine Beitragsfreistellung beantragt. Schließlich habe der Kläger die Verträge 23 Jahre beanstandungslos durchgeführt.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger mit der Berufung. Er sei nicht über sein Widerspruchsrecht nach § 5a VVG a.F. belehrt worden. Dies gelte hilfsweise auch für das ab dem 29.07.1994 geltende Rücktrittsrecht nach § 8 Abs. 5 VVG a.F. Diese Vorschrift sei auch anwendbar - und nicht § 8 Abs. 4 VVG (Widerrufsrecht) in der bis zum 28.07.1994 geltenden Fassung -, da es für die Frage des anwendbaren Rechts auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses ankomme, der aber erst nach der Gesetzesänderung erfolgt sei. Der Beklagte hätte daher der Gesetzesänderung Rechnung tragen und ihn bei Übersendung der Versicherungsscheine über sein Rücktrittsrecht gemäß § 8 Abs. 5 VVG a.F. in der seit dem 29.07.1994 geltenden Fassung belehren müssen, was er jedoch nicht getan habe. Unabhängig davon sei die ihm bei Antragstellung erteilte Belehrung formal nicht ordnungsgemäß gewesen, da sie nicht drucktechnisch hervorgehoben gewesen sei. Es seien auch keine Umstände gegeben, die eine Verwirkung der Ausübung von Gestaltungsrechten begründen könnten.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an ihn einen Betrag in Höhe von gesamt 41.670,96 EUR, nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2018 zu bezahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Dem Kläger habe kein Widerspruchsrecht nach § 5a VVG a.F. zugestanden,...