Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung der Verkehrssicherungspflicht
Verfahrensgang
LG Koblenz (Urteil vom 16.12.1994; Aktenzeichen 10 O 322/94) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 16. Dezember 1994 geändert und wie folgt neu gefaßt:
1. Die Beklagte wird verurteilt,
- an die Klägerin 1.475 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 22. Juni 1994 zu zahlen,
- an die. Klägerin ein Schmerzensgeld von 60.000 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 22. Juni 1994 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin jeglichen zukünftigen Schaden materieller oder immaterieller Art aufgrund des Unfalles vom 4. Juli 1991 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger übergehen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die zum Unfallzeitpunkt elfjährige Klägerin nimmt die Beklagte als Erbin des Hauseigentümers und Vermieters S. auf Schadensersatz wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht in Anspruch.
Die Klägerin und ihre Eltern waren 1991 Mieter einer Wohnung im 5-Familienhaus des Erblassers. Die (von außen gesehen) rechts angeschlagene, nach innen öffnende Hauseingangstür war aus einem Aluminiumrahmen mit Querriegel in Schloßhöhe gefertigt. Als Füllungen waren zwei Glasscheiben eingesetzt. Die obere Scheibe wird von der links angebrachten quadratischen Druckplatte zum Öffnen der Tür überdeckt (Lichtbilder Hülle Bl. 101 GA). Ein hydraulischer Türschließer bewirkt, daß die Tür automatisch in das Schloß fällt.
Als die Klägerin am 4. Juli 1991 das Haus betreten wollte, stieß sie mit der Handfläche oder dem Ellenbogen gegen die obere Glasscheibe, die durch den Anstoß zerbrach. Beim Versuch, den Arm aus dem Loch in der Scheibe herauszuziehen, erlitt die Klägerin durch die scharfkantigen Scherben erhebliche Armverletzungen.
Die Klägerin hat vorgetragen, ihre Hand sei von der Druckplatte abgerutscht und dann gegen die 3 Millimeter dicke Scheibe aus Ornamentglas geprallt, die den Sicherheitserfordernissen nicht genügt habe.
Der Vermieter hat vorgetragen, die Verglasung der Haustür habe den bautechnischen Sicherheitsanforderungen bei Errichtung des Gebäudes entsprochen. Auch ansonsten habe kein Anhalt für einen gefahrträchtigen Zustand der Hauseingangstür bestanden. Der Einbau von bruchsicherem Glas könne nicht verlangt werden. Unfallursächlich sei allein, daß die Klägerin nicht den Türdrücker benutzt, sondern versucht habe, die Tür durch Druck gegen die Scheibe zu öffnen.
Das Landgericht, auf dessen Entscheidung zur weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird, hat die Klage abgewiesen. Es fehle an einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht. Bei bestimmungsgemäßer Benutzung habe die Tür gefahrlos passiert werden können. Insbesondere sei die Glasscheibe nicht zu dünn gewesen; ansonsten wäre sie schon vor dem Unfall bei Bewegungen der Tür beschädigt worden. Jedenfalls fehle es am Verschulden des Vermieters.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung. Die Auffassung des Landgerichts, die Scheibe sei richtig befestigt und ausreichend dick gewesen, entbehre einer gesicherten tatsächlichen Grundlage. Einige Jahre vor dem Schadensereignis sei die seinerzeit eingesetzte Scheibe aus Drahtglas zerbrochen. Daraufhin sei provisorisch die 3 Millimeter dicke Scheibe aus Ornamentglas eingesetzt worden, weil beim Glaser kein Drahtglas vorrätig gewesen sei. Erst nach dem Unfall der Klägerin habe der Vermieter wieder Drahtglas einsetzen lassen.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und
- die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.475,00 DM nebst 4 % Zinsen p. a. seit dem 22.06.1994 zu zahlen,
- die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein Schmerzensgeld nach Ermessen des Gerichts nebst 4 % Zinsen p. a. seit dem 22.06.1994 zu zahlen,
- festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin jeglichen zukünftigen Schaden materieller oder immaterieller Art aufgrund des Unfalles vom 4. Juli 1991 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger übergehen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
Sie trägt (als Alleinerbin ihres nach Erlaß des erstinstanzlichen Urteils verstorbenen Ehemannes) vor, der Erblasser habe das Ornamentglas für ebenso widerstandsfähig wie das Ursprüngliche Drahtglas gehalten. Auch Ornamentglas sei grundsätzlich zum Einbau in einer Hauseingangstür geeignet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Parteivorbringens wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. Der Senat hat Sachverständigenbeweis erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das schriftliche Gutachten vom 11. Juni 1996 (Bl. 169 ff. GA).
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig und begründet. Die Beklagte ist nach §§ 1967, 823 Abs. 1, 847 BGB verpflichtet, der Klägerin den ma...