Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksamkeit eines Versäumnisurteils im schriftlichen Verfahren; Ersatzzustellung nur am Wohnort der Partei

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Fünfmonatsfrist des § 517 ZPO gilt nicht für im schriftlichen Verfahren ergangene Versäumnisurteile nach § 341 Abs. 2 ZPO.

2. Auch eine Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten kann nicht an einem tatsächlich aufgegebenen Scheinwohnsitz bewirkt werden.

3. Aus der Übersendung eines stattgebenden PKH - Beschlusses ergibt sich nicht die Verpflichtung des Begünstigten, durch einen Nachsendeantrag sicherzustellen, dass ihn weitere gerichtliche Schreiben unter seiner neuen Wohnanschrift erreichen.

 

Normenkette

ZPO §§ 114, 177-178, 180, 189, 310, 341, 517

 

Verfahrensgang

LG Mainz (Urteil vom 13.10.2006; Aktenzeichen 1 O 341/05)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil der 1. Zivilkammer des LG Mainz vom 13.10.2006 aufgehoben:

a) Es wird festgestellt, dass der Einspruch des Beklagten vom 9.8.2008 gegen das Versäumnisurteil des LG Mainz vom 17.1.2006 zulässig ist.

b) Die Sache wird zur Verhandlung über diesen Einspruch an das LG Mainz zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu befinden hat.

2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beide Seiten dürfen die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, sofern der Vollstreckungsgläubiger nicht seinerseits eine entsprechende Sicherheit leistet.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Gegen den Beklagten erging am 13.1.2006 ein Versäumnisurteil, das ihm ausweislich der Postzustellungsurkunde am 20.1.2006 unter der Anschrift "A. F. Str. 5, 55130 Mainz" durch Einwurf in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt wurde. Am 10.8.2006 legte der Beklagte gegen das Versäumnisurteil Einspruch ein. Zum Zustellungszeitpunkt habe er nicht mehr unter der Zustellungsanschrift, sondern in 55252 Mainz-Kastel B. str. Nr. gewohnt. Das ergebe sich aus der Abmeldebescheinigung der Stadt Mainz vom 18.7.2006. Von dem Versäumnisurteil habe er erst aufgrund einer Mitteilung des AG Mainz vom 14.6.2006 Kenntnis erlangt. Diese ist an die Zustellanschrift adressiert.

Durch Urteil vom 13.10.2006 hat das LG den Einspruch als verfristet verworfen. Die Zustellung vom 20.1.2006 sei wirksam.

Mit seiner am 27.3.2008 eingelegten Berufung erstrebt der Beklagte die Aufhebung des Urteils vom 13.10.2006. Hilfsweise zu der in erster Linie begehrten Zurückverweisung beantragt er Klageabweisung.

Die Kläger bestreiten, dass der Beklagte zum Zustellungszeitpunkt nicht mehr unter der Zustellanschrift wohnhaft war.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Parteianhörung des Beklagten und Vernehmung der Zeugin P. H. (Ehefrau des Beklagten) Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 27.11.2008 verwiesen.

II.1. Die Berufung ist zulässig. Das ohne mündliche Verhandlung ergangene Urteil (§ 341 Abs. 2 ZPO) datiert zwar vom 13.10.2006, es wurde jedoch erst am 27.2.2008 zugestellt und damit verkündet (§ 310 Abs. 3 Satz 2 ZPO). Somit begann die einmonatige Berufungsfrist des § 517 ZPO erst an diesem Tag. Auf die Fünfmonatsfrist des § 517 ZPO letzte Alternative kann nicht abgestellt werden. Die Vorschrift soll zwar auf nicht oder fehlerhaft zugestellte Entscheidungen ohne mündliche Verhandlung entsprechend anwendbar sein. Das gilt jedoch nicht für Urteile nach § 341 Abs. 2 ZPO, da hier kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung (§ 310 Abs. 3 Satz 2 ZPO) die Zustellung an Stelle der Verkündung tritt. Würde man auch in derartigen Fällen auf eine Fünfmonatsfrist ab dem Entscheidungszeitpunkt abstellen, hätte das zur Folge, dass die Berufungsfrist vor der Verkündung der Entscheidung enden könnte. Das widerspräche dem klaren Wortlaut des § 517 ZPO.

2. Die Berufung ist auch begründet. Das LG hat den Einspruch des Beklagten gegen das Versäumnisurteil zu Unrecht als verfristet erachtet. Daher musste durch Zwischenurteil (§ 303 ZPO) festgestellt werden, dass der Einspruch rechtzeitig erfolgte. Zur weiteren Verhandlung über den Einspruch konnte die Sache auf Antrag des Beklagten an das LG Mainz zurückverwiesen werden (§ 538 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

Die Auffassung des LG, das Versäumnisurteil vom 13.1.2006 sei dem Beklagten am 20.1.2006 unter der Anschrift "A. F. Str. 5, 55130 Mainz" durch Einwurf in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten wirksam zugestellt worden, hat keinen Bestand. Das LG hat sich bei seinen abweichenden Überlegungen auf die Kommentierung bei Zöller (ZPO, 25. Aufl. Rz. 7 zu § 178 ZPO) gestützt. Das ist schon im Ausgangspunkt verfehlt, weil § 178 ZPO einen Fall der persönlichen Ersatzzustellung an Familienangehörige oder sonstige am behaupteten Wohnort des Zustellungsadressaten angetroffene Personen regelt. In einem derartigen Fall wird der Zusteller von der Person, die die Postsendung entgegennehmen soll, in der Regel erfahren, ob der Zustellungsadressat unter der Zustelladresse wohnhaft ist. Damit ist der Fall der Ersatzzust...

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