Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine ärztliche Aufklärungspflicht über Schnittentbindung bei nicht gesicherter Indikation; kein Anscheinsbeweis für Geburtsleitungsversäumnis bei Schulterdystokie
Leitsatz (amtlich)
1. Der Geburtshelfer hat über die Möglichkeit der Schnittentbindung nur dann aufzuklären, wenn im konkreten Fall eine medizinische Indikation besteht (Beckenendlage, Missverhältnis zwischen Kindesgröße und mütterlichem Becken, übergroßes Kind etc.). Eine Fehlschätzung des tatsächlichen Geburtsgewichts (hier: 4.630 Gramm) belegt kein ärztliches Versäumnis, wenn die vorgeburtlichen Parameter vertretbar gedeutet wurden.
2. Selbst bei einem übergroßen Kind indiziert eine Armplexuslähmung nicht, dass unter der Geburt in unsachgemäßer Weise auf den Nasciturus eingewirkt wurde, wenn dafür kein konkreter Anhalt besteht. Die Schädigung führt daher nicht zu einer Beweiserleichterung oder Beweislastumkehr.
Normenkette
BGB §§ 253, 276, 278, 611, 823, 847; ZPO §§ 286-287
Verfahrensgang
LG Koblenz (Urteil vom 29.08.2007; Aktenzeichen 10 O 122/05) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 10. Zivilkammer des LG Koblenz vom 29.8.2007 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat auch die Kosten der Berufung zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch die Beklagten gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht diese zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der am 13.4.2000 geborene Kläger leidet seit seiner Geburt an einer unteren Armplexuslähmung rechts. Er begehrt Schmerzensgeld und Schadensersatz von dem Krankenhausträger (Beklagte zu 1), von der seine Geburt leitenden Ärztin (Beklagte zu 2) und der dabei anwesenden Hebamme (Beklagte zu 3) mit der Behauptung von Aufklärungsversäumnissen, Behandlungsfehlern und Dokumentationsmängeln.
Er hat beantragt,
I. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 55.000 EUR nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.8.2002 zu zahlen,
II. festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, ihm allen weiteren, derzeit nicht absehbaren immateriellen Folgeschaden zu ersetzen, der ihm durch die fehlerhafte Geburtsbetreuung am 13.4.2000 entstanden ist und noch entstehen wird,
III. festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, ihm sämtlichen in der Vergangenheit entstandenen und in Zukunft noch entstehenden materiellen Schaden zu ersetzen, der ihm durch die fehlerhafte Geburtsbetreuung am 13.4.2000 entstanden ist und noch entstehen wird, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden.
Mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen Tatbestand zur weiteren Sachdarstellung Bezug genommen wird, hat das LG sachverständig beraten die Klage abgewiesen.
Hiergegen wendet sich die Berufung des Klägers, mit der dieser sein Klagebegehren erneuert und im Wesentlichen vorträgt:
Für eine vaginale Geburt hätten bestimmte Komplikationen bzw. Risiken bei seiner Mutter vorgelegen. So habe eine familiäre Diabetesbelastung bestanden, Glukose sei im Urin festgestellt worden. Während der Schwangerschaft sei es zu einer hohen Gewichtszunahme gekommen. Nach einer sonographischen Untersuchung zur Bestimmung der Kindesmaße, deren Schlussfolgerungen in den Krankenunterlagen nicht dokumentiert seien, sei man von der Geburt eines großen Kindes ausgegangen. Es sei deshalb erforderlich gewesen, mit seiner Mutter eine Schnittentbindung als ernsthafte Behandlungsalternative zu besprechen und ihr eine solche anzubieten. Bei der vaginalen Geburt sei es zu einer Schulterdystokie, jedenfalls zu einer erschwerten Schulterentwicklung gekommen und im Anschluss hieran sei bei ihm eine Armplexusparese festgestellt worden. Bereits dies müsse, ohne dass es auf einen Behandlungsfehler in dieser Phase der Geburt ankomme, zur Haftung führen. Jedenfalls beweise das extrem knappe Geburtsprotokoll nicht, dass fehlerfrei vorgegangen worden sei, so dass ihm Beweiserleichterungen zugute kommen müssten. Die Überlegung des Sachverständigen Prof. Dr. P., dass die Möglichkeit in Betracht gezogen werden müsse, er habe sich die Armplexusschädigung bereits intrauterin zugezogen, sei nicht zwingend. Die bei ihm aufgetretene Schädigung der rechten hinteren Schulter könne nach Art und Schwere nur durch eine unsachgemäße, zu starke Zugeinwirkung auf den Plexus entstanden sein. Komme es zu einer Schulterdystokie in der letzten Phase der Geburt, müsse Facharztstandard hergestellt werden. Dass die Beklagte zu 2) im Jahre 2002 als Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe zeichne, erlaube nicht den Schluss auf ihre Fähigkeiten zum Zeitpunkt der Geburt. Wann die Beklagte zu 2) die Facharztprüfung abgelegt habe, habe die Beklagte zu 1) bisher nicht mitgeteilt.
Nach der Verh...