Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung des Arztes für ungewollte Sterilisation einer Frau

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ergibt sich im Rahmen einer sectio ein Befund, den der Arzt bei weiteren Schwangerschaften für gefährlich hält, ist die deswegen ungefragt vorgenommene Sterilisation weder von einer mutmaßlichen noch von einer hypothetischen Einwilligung der Patientin gedeckt.

2. Dass der Arzt bei einem Eingriff für die Aufklärung beweispflichtig ist, ändert nichts daran, dass die Patientin eine unterbliebene Aufklärung beweisen muss, wenn sie darauf einen Vermögensschaden stützt (hier: Kosten der überflüssig eingenommenen Antikonzeptiva).

3. Zur Schmerzensgeldbemessung bei ungewollter Sterilisation einer 22-ährigen Zweitgebärenden.

 

Normenkette

BGB §§ 249, 276, 611, 823, 847; ZPO §§ 284 ff.; StGB §§ 35, 223

 

Verfahrensgang

LG Bad Kreuznach (Urteil vom 01.02.2006; Aktenzeichen 3 O 148/03)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 3. Zivilkammer des LG Bad Kreuznach vom 1.2.2006 bei Zurückweisung des weiter gehenden Rechtsmittels dahin geändert, dass die Beklagte unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt wird, an die Klägerin 15.000 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.6.2003 zu zahlen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin ¼ und die Beklagte ¾.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin, die 1953 geboren wurde, brachte 1975 ihr zweites Kind zur Welt. Die Entbindung erfolgte - wie schon die erste Geburt - nach einem Kaiserschnitt.

Die Sectio wurde von dem Gynäkologen Dr. O. durchgeführt, dem die Klägerin zuvor nicht bekannt gewesen war. Er stellte bei der Eröffnung des Bauchraums Verwachsungen am Peritoneum fest, die den Wiederverschluss schwierig gestalteten, so dass zukünftige ähnliche Eingriffe und dabei insb. ein weiterer Kaiserschnitt "deshalb nicht zu empfehlen" (Operationsbericht) seien. Im Hinblick darauf nahm Dr. O. eine Sterilisation vor, in dem er die Eileiter durchtrennte. Eine solche Möglichkeit war mit der Klägerin nicht besprochen worden. Dr. O. machte auch keinen Versuch, den damaligen Ehemann der Klägerin zu erreichen.

Die Klägerin hat behauptet, von der Sterilisation erst im Jahre 2001 erfahren zu haben. Sie habe nach der Geburt kontinuierlich Verhütungsmittel genommen und diese erst 1994 abgesetzt, als sie und ihr jetziger Ehemann, mit dem sie nunmehr zusammengelebt habe, einen Kinderwunsch gehabt hätten. Da sie gleichwohl nicht schwanger geworden sei, sei es zu einer Ehekrise gekommen, und sie habe unter Depressionen und Gewichtsverlusten gelitten, nachdem die vorhergehende Einnahme der Verhütungsmittel zu Migräne, Bluthochdruck und Kollabierungen geführt habe.

Vor diesem Hintergrund hat die Klägerin die Beklagte in erbrechtlicher Nachfolge Dr. O.'s - jeweils zzgl. Zinsen - auf die Zahlung einer materieller Schadensersatzleistung von 2.094,76 EUR und eines mit 17.000 EUR bezifferten Schmerzensgelds in Anspruch genommen. Das materielle Ersatzverlangen knüpft an das - behauptete - Versäumnis an, sie über die erfolgte Sterilisation zu unterrichten, und hat die - in ihrem Umfang bestrittenen - Kosten der verwendeten Verhütungsmittel zum Gegenstand. Der immaterielle Schadensersatzanspruch hebt sowohl auf die angeblich unterbliebene Information als auch auf die Sterilisation als solche ab.

Das LG hat das Begehren nach der Befragung des früheren Ehemanns der Klägerin und der Einholung eines Sachverständigengutachtens insgesamt abgewiesen. Seiner Ansicht nach war die Sterilisation rechtmäßig, weil sie - angesichts der Risiken, die eine weitere Schwangerschaft nach sich gezogen hätte - von einer mutmaßlichen Einwilligung der Klägerin gedeckt gewesen sei. Eine etwa fehlende Unterrichtung der Klägerin über die Durchführung der Sterilisation könne nicht schadensursächlich gewesen sein, weil die Klägerin auch im Fall einer solchen Unterrichtung mangels einer Erfolgsgewähr für den Eingriff Verhütungsmittel hätte benutzen müssen.

Diese Entscheidung greift die Klägerin in Erneuerung ihrer erstinstanzlichen Anträge mit der Berufung an. Sie wendet sich wie bereits zuvor gegen die Annahme einer mutmaßlichen Einwilligung in die Sterilisation. Dr. O. habe ihr Selbstbestimmungsrecht in einer essentiellen Frage ohne zwingende Gründe verletzt. Demgegenüber verteidigt die Beklagte die angefochtene Entscheidung. Sie erachtet das Vorgehen Dr. O.'s unter den Gesamtumständen für gerechtfertigt. Vorsorglich erneuert sie ihre bereits in erster Instanz erhobene Verjährungseinrede.

II. Die Berufung hat einen nicht unerheblichen Erfolg. Sie führt zur Änderung des erstinstanzlichen Urteils dahin, dass der Klägerin ein - für den beantragten Zeitraum mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsendes (§§ 291, 288 Abs. 1 BGB) - Schmerzensgeld von 15.000 EUR zuzuerkennen ist. Im Übrigen verbleibt es bei der angefochtenen Entscheidung.

1. Die Forderungsberechtigung der Klägerin ergibt sich aus §§ 823 Abs. 1, 847 Ab...

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