Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruch. Einschränkung des Pflichtteilsrechts auf Grund sittlicher Pflicht. Schenkung von Immobilien. Wertvergleich unter Berücksichtigung des allgemeinen Verbraucherpreisindexes. Verpflichtung zur Zahlung von Verzugs- oder Prozesszinsen
Leitsatz (amtlich)
Die Absicherung des überlebenden Ehegatten rechtfertigt nur dann die Einschränkung des Pflichtteilsrechts naher Angehöriger i.S.d. § 2330 BGB, wenn diese in einer Weise sittlichg eboten war, dass ein Unterlassen der Zuwendung dem Erblasser als Verletzung einer für ihn bestehenden sittlichen Pflicht zur Last zu legen wäre. Hierbei ist maßgeblich auf die Sichtweise abzustellen, die der Erblasser im Zeitpunkt der Schenkung bei einer vorausschauenden Betrachtung haben musste, welche sämtliche Umstände in Erwägung zieht, die seiner Kenntnisnahme auch nur möglicherweise zugänglich waren.
Verschenkt der Erblasser eine Immobilie und behält sich ein lebenslanges (dingliches oder schuldrechtliches) Nutzungsrecht vor, bleibt bei dem nach § 2325 Abs. 2 S. 2 BGB vorzunehmenden Wertvergleich das vorbehaltene Nutzungsrecht zunächst unberücksichtigt. Um die beiden Werte unter Berücksichtigung des Kaufpreisschwundes vergleichbar zu machen, ist der Wert im Zeitpunkt der Zuwendung mit Hilfe des allgemeinen Verbraucherpreisindexes auf die Wertverhältnisse zur Zeit des Erbfalls umzurechnen. Nur wenn nach diesem Wertvergleich der Wert zur Zeit der Schenkung für die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs maßgeblich ist, weil dieser geringer ist als derjenige zur Zeit des Erbfalls, ist das Nutzungsrecht wertmindernd zu berücksichtigen. Ist nach dem (ohne Berücksichtigung des Nutzungsrechts vorgenommenen) Wertvergleich hingegen der Wert zur Zeit des Erbfalls maßgeblich, bleibt das Nutzungsrecht unberücksichtigt, weil es zu diesem Zeitpunkt nicht mehr besteht.
Leistet der seine Verurteilung in erster Instanz mit der Berufung angreifende Schuldner den Urteilsbetrag zur Abwendung der Zwangsvollstreckung, endet mit der Zahlung - auch wenn diese keine Erfüllungswirkung hat - die Verpflichtung zur Zahlung von Verzugs- oder Prozesszinsen.
Auch wenn sich ein Zinsanspruch als Nebenforderung nach § 4 ZPO nicht streitwerterhöhend auswirkt, ist die (teilweise) Abweisung des Zinsanspruchs nach § 92 ZPO bei der Kostenentscheidung zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen, wenn der Zinsforderung im Verhältnis zur Hauptforderung erhebliches Gewicht zukommt (hoher Zinssatz und/oder lange Laufzeit).
Normenkette
BGB §§ 288, 291, 2325, 2330; ZPO §§ 4, 92; BGB §§ 2338a, 2326; EGBGB Art. 227 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Koblenz (Urteil vom 18.11.2005; Aktenzeichen 5 O 295/94) |
Tenor
Auf die Berufung beider Parteien wird das Urteil der 5. Zivilkammer des LG Koblenz vom 18.11.2005 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 428.113,82 EUR nebst Zinsen i.H.v. 4 % p.a. ab 21.5.1994 zu zahlen, aus einem Teilbetrag von 227.594,03 EUR allerdings begrenzt bis zum 30.11.2005.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehenden Berufungen und die Anschlussberufung werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits fallen dem Kläger zu 15 % und der Beklagten zu 85 % zur Last.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beide Parteien können die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die vollstreckende Partei zuvor Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Der am 6.1.1981 nichtehelich geborene Kläger ist das einzige Kind des am 14.10.1992 mit 42 Jahren verstorbenen R. Die Beklagte war mit dem Erblasser seit dem 13.10.1989 verheiratet und ist dessen gesetzliche Alleinerbin. Durch Ehevertrag vom 22.6.1990 (Bl. 902 ff. GA) hatte sie mit dem Erblasser Gütertrennung und einen gegenseitigen Verzicht auf Zugewinnausgleich, nachehelichen Unterhalt sowie Versorgungsausgleich vereinbart.
Im vorliegenden Rechtsstreit macht der Kläger Erbersatz- und Pflichtteilsergänzungsansprüche nach seinem Vater geltend. Nachdem das LG mit Teilurteilen vom 16.3.1995 und 3.11.2000 - bestätigt durch Urteil des Senates vom 31.10.2001 - die Beklagte zur Auskunft über den Bestand des Nachlasses und die vom Erblasser in den letzten zehn Jahren vor seinem Todg etätigten Schenkungen sowie Wertermittlung hinsichtlich bestimmter Gegenstände verurteilt hatte, hat die Beklagte in einer "Teilvergleichsvereinbarung" vom 20./27.11.1998 (Bl. 985 ff. GA) und einer "2. Teilvergleichsvereinbarung" vom 25.05./1.6.1999 (Bl. 869 ff. GA) dieg eforderten Auskünfte erteilt. Auf dieser Grundlage ist der Erbersatzanspruch zwischenzeitlich reguliert. Die Parteien streiten jetzt noch um den Umfang ausgleichspflichtiger Schenkungen an die Beklagte und an Dritte.
Hierbei handelt es sich um folgende Positionen:
- Schenkung des Forstgutes B. aufgrund notariellen Vertrages vom 18.5.1983 (Bl. 385 ff. GA) an U., P. und F. S. (Schwester des Erblassers und deren Kinde...