Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch des Arbeitgebers auf Erstattung geleisteter Lohnfortzahlung trotz Mitverschuldens des verletzten Arbeitnehmers; Pflicht des Berufungsgerichts zur erneuten Zeugenvernehmung
Leitsatz (redaktionell)
1.1. Einem Arbeitnehmer steht bei eigenem Verschulden kein Lohnfortzahlungsanspruch zu. Dazu reicht ein Mitverschulden anläßlich einer Schlägerei aus.
1.2. Hat der Arbeitgeber gleichwohl den Lohn nach Lohnfortzahlungsgesetz § 4 Abs 1 (juris: LFZG) tatsächlich weitergezahlt, so geht der anteilige Schadensersatzanspruch (also nach Abzug der Mitverschuldensquote) gegen den Schädiger auf den Arbeitgeber über.
2. Eine Pflicht zur erneuten Vernehmung von Zeugen besteht nur bei Vorliegen besonderer Umstände, etwa wenn das Berufungsgericht eine Zeugenaussage abweichend vom Erstgericht würdigt und für die abweichende Bewertung Faktoren im Vordergrund stehen, deren Beurteilung wesentlich vom persönlichen Eindruck des Zeugen auf den Richter abhängt (vergleiche BGH, 1985-01-08, VI ZR 96/93, VersR 1985, 341), oder wenn die Entscheidung von der Glaubwürdigkeit eines Zeugen abhängt, dessen Aussage der Erstrichter nicht gewürdigt hat (vergleiche BGH, 1985-02-08, V ZR 253/83, NJW-RR 1986, 285). Die erneute Vernehmung von Zeugen ist ferner geboten, wenn das Berufungsgericht die Glaubwürdigkeit eines Zeugen abweichend vom erstinstanzlichen Gericht einschätzt (vergleiche BGH, 1981-07-07, VI ZR 48/80, NJW 1982, 108 und BGH, 1981-10-14, IVa ZR 152/80, NJW 1982, 1052) oder wenn es die Aussage eines Zeugen für zu vage und daher für präzisierungsbedürftig hält (vergleiche BGH, 1981-10-14, IVa ZR 152/80, NJW 1982, 1052), wenn es die protokollierte Aussage eines Zeugen anders verstehen will als der Richter der Vorinstanz (vergleiche BGH, 1984-04-03, VI ZR 195/82, NJW 1984, 2629) oder wenn das Berufungsgericht der Aussage eines Zeugen bei der Würdigung der Bekundungen eines anderen Zeugen ein ihr vom erstinstanzlichen Gericht nicht beigemessenes Gewicht geben will (vergleiche BGH, 1984-11-20, VI ZR 73/83, NJW 1985, 3078). Hat das erstinstanzliche Gericht von zwei sich widersprechenden Zeugenaussagen keiner geglaubt, kann das Berufungsgericht nicht ohne erneute Vernehmung einem Zeugen glauben (vergleiche BGH, 1991-06-19, VIII ZR 116/90, WM 1991, 1896).
Normenkette
LFZG § 4 Abs. 1; BGB § 823 Abs. 1, § 254 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Bad Kreuznach (Entscheidung vom 03.01.1992; Aktenzeichen 2 O 56/91) |
Tatbestand
Die Klägerin klagt aus übergegangenem Recht wegen einer Lohnfortzahlung von 5.456,70 DM, die sie ihrem Arbeitnehmer G gewährt hat. Der Zeuge G geriet am 1. Juni 1990 in eine zunächst verbale, dann tätliche Auseinandersetzung mit dem Beklagten. Wegen der hierbei erlittenen Verletzungen war der Arbeitnehmer der Klägerin 6 Wochen krankgeschrieben.
Die Klägerin hat vorgetragen, der Beklagte habe den Zeugen G rechtswidrig und schuldhaft verletzt und schulde daher Ersatz der Lohnfortzahlung. Der Beklagte hat behauptet, in Notwehr gehandelt zu haben; jedenfalls sei er provoziert worden.
Das Landgericht, auf dessen Entscheidung zur weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird, hat nach Vernehmung von Zeugen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat der Einzelrichter ausgeführt, eine schuldhafte Verletzung des Zeugen G sei nicht bewiesen. Nach den widerstreitenden Zeugenaussagen sei offen, ob der Beklagte den Arbeitnehmer der Klägerin lediglich in Notwehr verletzt habe.
Mit ihrer Berufung rügt die Klägerin Verkennung der Beweislast. Denn der Beklagte müsse die behauptete Notwehr beweisen.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Änderung des landgerichtlichen Urteils zur Zahlung von
5.456,70 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 13. Februar 1991 an die Klägerin zu
verurteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und hebt hervor, vom Arbeitnehmer der Klägerin nicht nur verbal, sondern während der späteren tätlichen Auseinandersetzung auch durch Steinwürfe provoziert worden zu sein.
Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Parteivorbringens wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze verwiesen. Die Akten 6 Js 8430/90 StA Bad Kreuznach und die Akten 3 C 477/90 AG Simmern waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Auch auf den Inhalt dieser Akten wird verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung hat einen Teilerfolg.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 des Lohnfortzahlungsgesetzes in Verbindung mit § 823 Abs. 1 BGB steht der Klägerin aus übergegangenem Recht ein Anspruch auf hälftige Erstattung der Lohnfortzahlung zu, die sie ihrem vom Beklagten verletzten Arbeitnehmer gewährt hat.
Kann der Arbeiter aufgrund gesetzlicher Vorschriften von einem Dritten Schadenersatz wegen des Verdienstausfalles beanspruchen, der ihm durch die Arbeitsunfähigkeit entstanden ist, so geht dieser Anspruch insoweit auf den Arbeitgeber über, als dieser dem Arbeiter nach dem Lohnfortzahlungsgesetz Arbeitsentgelt fortgezahlt und d...