Entscheidungsstichwort (Thema)

Verjährungsbeginn nach mehrjähriger komplexer Zahnbehandlung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Sind mehrere aufeinander folgende und nebeneinander stehende zahnärztliche Pflichtverletzungen mit jeweils unterschiedlichen Beeinträchtigungen Gegenstand der Klage, müssen die den Verjährungsbeginn herbeiführenden Voraussetzungen des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB im Hinblick auf jede einzelne Pflichtverletzung geprüft werden.

2. Aus einer kritischen fachärztlichen Meinungsäußerung kann die für den Verjährungsbeginn maßgebliche Kenntnis des Patienten nicht hergeleitet werden, wenn ein dritter Facharzt sich gegenläufig geäußert hat.

3. Wird der Kern des Patientenverlangens unter Ausklammerung entscheidungserheblicher Gesichtspunkte und Übergehung von Beweisanträgen verkannt, kann das eine Zurückverweisung in die erste Instanz erfordern.

 

Normenkette

BGB §§ 823, 194, 280, 199, 195, 611, 276, 823 Abs. 1; ZPO § 538

 

Verfahrensgang

LG Koblenz (Entscheidung vom 26.01.2011; Aktenzeichen 10 O 227/08)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 26.01.2011 aufgehoben und die Sache - auch zur Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens - in die erste Instanz zurückgegeben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die damals 13-jährige Klägerin begab sich am 12.01.2001 in die kieferorthopädische Behandlung des Beklagten. Ziel war eine Korrektur des Oberkiefers. Dort fehlte aufgrund eines genetischen Defekts der Zahn 11. Da er nicht angelegt war, gab es auch keine Lücke.

Der Beklagte stellte verschiedene Korrekturmöglichkeiten in den Raum. Nachdem die Klägerin am 7. 12. 2001 einen Unfall gehabt hatte und dabei der Zahn 21 unter Verlust einer Ecke traumatisiert worden war, konkretisierte sich der Vorschlag des Beklagten auf die Extraktion dieses Zahns mit einer nachfolgenden Weitung des entstandenen Freiraums, der langfristig durch zwei Schneidezahn-Implantate gefüllt werden sollte. Der beabsichtigten Verfahrensweise stimmten sowohl die Mutter der Klägerin als auch deren Hauszahnarzt Dr. H. zu.

Der Zahn 21 wurde am 10. 06. 2002 von Dr. H. gezogen. Daraufhin setzte der Beklagte am 28. 06. 2002 im Oberkiefer eine feste Spange ein. Sie wurde am 10. 10. 2003 gegen einen Positionierer ausgetauscht, ehe der Beklagte dann am 4. 11. 2003 einer herausnehmbare Oberkieferplatte mit zwei Ersatzzähnen einbrachte. Damit sollte die vorhandene Lücke geschlossen werden. Die benachbarten Zähne 12 und 22 wurden mit Federn zur Seite gedrückt.

Die Lücke hatte die Klägerin nach ihrem Vortrag psychisch belastet und sozial isoliert. Auch ihre Mutter war mit dem Zustand unzufrieden gewesen und hatte dem am 3. 11. 2003 gegenüber Dr. H. Ausdruck gegeben. Das nunmehr vom Beklagten eingesetzte Füllstück fand ebenfalls keine Zustimmung. Man empfand die Ersatzzähne als zu klein sowie farblich misslungen und veranlasste deshalb Dr. H. zur Anfertigung eines neuen Einsatzes. Dr. H. informierte den Beklagten am 4.12.2003 von dessen Fertigung.

Bei einer Unterredung vom 26.01.2004 äußerte er dann gegenüber der Mutter der Klägerin, dass es seiner Ansicht nach aufgrund der Zahnverschiebung im Oberkiefer zu einer Fehlstellung gekommen sei. Daraufhin wandte sich diese an den Beklagten, der dem widersprach, sowie an die Kieferorthopädin Dr. N.. Ob die Dinge auch von deren Seite für in Ordnung befunden wurden, ist im Streit.

Nachdem die Mutter der Klägerin dem Beklagten unter dem 12.05.2004 mitgeteilt hatte, dass sie mit seiner Tätigkeit nicht zufrieden sei, erhob dieser am 25.05.2004 einen Abschlussbefund und hielt die Klägerin an, die herausnehmbare Oberkieferapparatur ein Jahr lang nachts zu tragen. Am 14.11.2005 übersandte er eine Schlussbescheinigung.

Die zahnärztliche Versorgung der Klägerin erfolgte unterdessen durch Dr. H., der sie im weiteren Verlauf an den Kieferchirurgen Dr. L. verwies. Dort kam es am 17.07.2006 zu einer Untersuchung. Anschließend musste die Klägerin erneut eine Klammer tragen, weil die Lücke im Oberkiefer zu eng für die vorgesehenen Implantate erachtet wurde. Am 24.06.2008 begann dann schließlich der dazu erforderliche Knochenaufbau.

Vor diesem Hintergrund hat die Klägerin den Beklagten im vorliegenden Rechtsstreit auf die Zahlung eines mit mindestens 10.000 € zu beziffernden Schmerzensgelds und den Ausgleich vorgerichtlicher Anwaltskosten von 775,64 € in Anspruch genommen. Außerdem hat sie die Feststellung seiner Ersatzpflicht für zukünftige immaterielle und materielle Schäden begehrt. Ihrer Ansicht nach war es verfehlt, den Zahn 21 zu ziehen oder dies jedenfalls so frühzeitig zu tun. Die Extraktion habe zu einer Rückbildung des Kieferknochens geführt, der dann zur Implantatversorgung habe wieder aufgebaut werden müssen. Außerdem sei sie in ihrer Durchführung und in ihren Nachwirkungen sehr schmerzhaft gewesen. Auch die Spangenbehandlung sei beeinträchtigend gewesen. Sie habe Kauprobleme hervorgerufen und Schlafschwierigkeiten bereitet...

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