Entscheidungsstichwort (Thema)
Gerichtliche Hinweispflicht im Bauprozess - Mehrvergütungsklage beim VOB/B - Pauschalpreisvertrag
Leitsatz (amtlich)
1. Behauptet der Besteller gegenüber der Mehrvergütungsklage des Auftragnehmers eine abweichende nachträgliche Preisabsprache, handelt es sich bei der auf unzureichende Substantiierung gestützten Klageabweisung um eine Überraschungsentscheidung, wenn der Auftraggeber derart detaillierten Prozessvortrag nicht angemahnt hatte. Ist ein gerichtlicher Hinweis erkennbar nicht hinreichend verstanden worden, bedarf es einer ergänzenden Klarstellung.
2. Da die Voraussetzungen einer Mehrvergütung nach den verschiedenen Alternativen des § 2 Nr. 5 - 7 VOB/B sich erheblich unterscheiden, muss ein gerichtlicher Hinweis dem Anspruchsteller auch verdeutlichen, welche Alternative das Gericht bei welcher Zusatzleistung jeweils für einschlägig hält und welchen konkreten Prozessvortrag es insoweit vermisst.
3. Eine Bauvertragsklausel, wonach aus notwendigen Änderungen keine Ersatzansprüche abzuleiten sind, präkludiert nicht die Zusatzvergütung für geänderte und ergänzte Leistungen, sondern nur Ersatzansprüche beider Vertragsparteien wegen Beeinträchtigungen, die aus solchen Änderungen herrühren.
Normenkette
GG Art. 103; ZPO §§ 139, 538; BGB §§ 313, 631; VOB/B § 2 Nr. 5-7
Verfahrensgang
LG Koblenz (Urteil vom 22.03.2012; Aktenzeichen 9 O 210/11) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 9. Zivilkammer des LG Koblenz vom 22.3.2012 unter Zurückweisung der Anschlussberufung der Beklagten insoweit aufgehoben, als es zum Nachteil der Klägerin ergangen ist. In diesem Umfang wird der Rechtsstreit an das LG zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden hat.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die Beklagte hatte den Auftrag erhalten, ein Mehrfamilienhaus mit 41 Wohneinheiten zu errichten. Mit der Durchführung betraute sie in einem am 17.6.2009 geschlossenen Werkvertrag als Generalunternehmerin die Klägerin, die in der Folge ihrerseits zahlreiche Subunternehmer heranzog. Für das Haus lagen seinerzeit Baueingabepläne vor, die der früheren Grundstückseigentümer hatte fertigen lassen, um sie Kaufinteressenten zur Verfügung zu stellen. Zu diesen Interessenten hatte auch die Klägerin gehört, ohne dass sie dann allerdings mit dem Erwerb zum Zuge gekommen war.
Der Vertrag vom 17.6.2009 brachte in "1.2 Vertragsgrundlage" die VOB/B 2006 zur Anwendung und sah dort außerdem vor, dass sich "die beiderseitigen Rechte und Pflichten" im Wesentlichen nach einer allgemeinen Bau- und Funktionsbeschreibung und den vorgenannten Eingabeplänen bestimmten. Vorab hieß es unter "1.1 Vertragsobjekt", das Haus werde "entsprechend den genehmigten Plänen des Architekten gemäß Baubeschreibung in fertiger und funktionsgerechter Ausführung" errichtet. Bei "1.4 Vergütung/Sicherung" war geregelt, dass "die entstandenen Mehrkosten" für "Sonderwünsche, die im Leistungsverzeichnis nicht berücksichtigt sind, gesondert zu vergüten seien". Darüber hinaus fand sich unter "1.12 Sonstiges" der Passus: "Änderungen der Bauausführung aufgrund technischer oder gestalterischer Notwendigkeiten bzw. aufgrund behördlicher Auflagen bleiben vorbehalten, ebenso Änderungen, die keine Minderung in Bezug auf Qualität und Eignung darstellen. Eine vorherige Absprache und Änderungsprotokoll sind notwendig. Aus diesen Änderungen sind keine Ersatzansprüche abzuleiten."
Der Werklohn wurde als "garantierter Pauschalfestpreis" i.H.v. 2,8 Mio. Euro einschließlich Mehrwertsteuer vereinbart. Da die Steuer unmittelbar von der Beklagten abzuführen war, verblieb ein Nettobetrag von 2.352.941,18 EUR.
Nach Vertragsschluss zeigte sich, dass sich verschiedene Gewerke aufwendiger als von der Klägerin erwartet gestalten würden. Die genehmigten Baupläne wichen, bedingt durch bauaufsichtsrechtliche Vorgaben, in mancherlei Hinsicht von den Eingabeplänen ab. So mussten im Obergeschoss des Hauses statt der ursprünglich vorgesehenen einteiligen Fenster größere, zweiteilige Cabrio-Fenster eingesetzt werden. Die Warmwasserversorgung war statt individuell wohnungsbezogen über Durchlauferhitzer zentral unter Anbringung einer Solaranlage vorzunehmen. In einer Giebelwand bedurfte es zweier zusätzlicher Fensteröffnungen, es gab besondere Brandschutzanforderungen, die Beachtung verlangten, und die Außenanlagen mussten geändert werden. Zudem fiel der Abtransport von schadstoffbelastetem Erdreich, das die Klägerin "entsprechend Bodengutachten" zu entsorgen hatte, letztlich weit umfangreicher aus, als das - bereits bei Vertragsschluss vorliegende, von der Klägerin selbst eingeholte - Gutachten vorausgesagt hatte; im Gegenzug wurde vermehrt Mutterboden eingebracht.
Die Klägerin machte den über ihre Planungen hinausgehenden Aufwand teilweise zum Gegenstand von Nachtragsangeboten, die die Beklagte aber nicht annahm. Nach deren Darstellung einigten sich die Parteien bei einem im November 2009 geführten Ge...