Leitsatz (amtlich)

Zu den Sorgfaltspflichten des Pferdehalters und Veranstalters von Reitunterricht sowie zur Darlegungs- und Beweislast bei einem Reitunfall.

 

Normenkette

BGB §§ 276, 280, 833; ZPO § 286

 

Verfahrensgang

LG Bad Kreuznach (Urteil vom 04.11.2005; Aktenzeichen 3 O 270/05)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 3. Zivilkammer des LG Bad Kreuznach vom 4.11.2005 mit dem zugrunde liegenden Verfahren aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LG Bad Kreuznach zurückverwiesen, das auch über die außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden hat.

3. Gerichtskosten sind für das Berufungsverfahren nicht zu erheben.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin begehrt die Feststellung der Schadensersatzpflicht des Beklagten wegen eines Reitunfalls am 4.2.2002. Während einer vom Beklagten organisierten Reitstunde begann dass der Klägerin zur Verfügung gestellte Pferd plötzlich zu galoppieren und warf die Klägerin ab, die infolge des Sturzes Verletzungen erlitt.

Der Beklagte hat eingewandt als Reiterin habe die Klägerin die unmittelbare Gewalt über das Tier gehabt. Für den Sturz sei sie daher selbst verantwortlich.

Nach einem Hinweis, dass das Klagevorbringen unsubstantiiert sei, hat das LG die Klage mit der Begründung abgewiesen, ein Ersatzanspruch stehe der Klägerin nach ihrem eigenen Vorbringen nicht zu. Es sei nicht zu ersehen, dass der Beklagte den Unfall schuldhaft verursacht habe. Der Umstand, dass der Beklagte die Reitstunde organisiert und der Klägerin das Pferd überlassen habe, reiche für eine Haftung nicht aus.

Mit Ihrer Berufung rügt die Klägerin das Verfahren erster Instanz und ergänzt ihr Vorbringen. Sie beantragt die Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung in die erste Instanz, hilfsweise wiederholt sie den erstinstanzlichen Sachantrag. Das LG habe die in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen und die insoweit bestehende Darlegungs- und Beweislast verkannt und zudem den Prozessvortrag nicht ausgeschöpft.

Der Beklagte verteidigt die Entscheidung des LG.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II. Die zulässige Berufung hat einen vorläufigen Erfolg. Sie führt zur beantragten Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an das LG, dessen bisheriges Verfahren an Mängeln leidet, die einer Sachentscheidung des Senats entgegenstehen (§ 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

Die Klage ist entgegen der nicht näher begründeten Rechtsauffassung des LG schlüssig.

Unstreitig war der Beklagte Betreiber der Reitanlage, Organisator und Veranstalter der Reitstunde sowie Halter des Pferdes. Wer Reitunterricht nimmt, verzichtet damit nicht auf vertragliche oder gesetzliche Ersatzansprüche, die sich aus der Tiergefahr ergeben (OLG Düsseldorf NJW 1975, 1892).

Vertraglich war der Beklagte verpflichtet, die Klägerin über die beim Reitsport zu beachtenden Regeln und Sicherungsmaßnahmen zu informieren. Sodann musste er sich vergewissern, dass die Klägerin diese Informationen verstanden hatte und umsetzen konnte. Sollte es sich um die erste Reitstunde der Klägerin gehandelt haben, dürfte es außerdem erforderlich gewesen sein, ihr ein Pferd zuzuweisen, das auch bei Reitanfängern friedfertig ist und nicht zu überraschendem Verhalten, insb. temperamentvollen Gangwechseln neigt. Auch spricht vieles dafür, dass der Veranstalter einer ersten Reitstunde das Pferd zunächst an der Leine führen muss, damit sich Tier und Reiter aneinander gewöhnen. Die Verletzung der vertraglichen Sorgfaltspflicht kann sich bei einem Reitunfall aus der Art der Übung, aus dem Alter und der Erfahrenheit von Reitschüler und Pferd, aus konkreten Umständen des Unfalls, aus Warnzeichen in der konkreten Situation, aus einem unsachgemäßen Eingriff des Reitlehrers oder unterlassenen Maßnahmen, insb. aus der Erkennbarkeit/Vorhersehbarkeit der Gefahr in Bezug auf die Art der konkret ausgeführten Übung, der Konstitution des Reitschülers und des Pferdes, der Gewöhnung des Pferdes an die Übung und seinen Ausbildungsstand und aus dem Zusammenwirken von Reiter und Pferd ergeben (vgl. zu den Sorgfaltsanforderungen beim Reitunterricht OLG Koblenz, Urt. v. 6.6.1990 - 5 U 401/89, OLGZ 1991, 124 [125] = NJW-RR 1991, 150 [151]).

Die Beachtung der konkret erforderlichen Sorgfalt darzulegen (§ 276 Abs. 2 BGB), war Sache des Beklagten. Ihm oblag auch die Darlegung, dass die Einhaltung der Sicherungsmaßnahmen entbehrlich oder eingeschränkt war, etwa weil es sich bei der Klägerin um eine erfahrene Reiterin und/oder bei dem Pferd um ein ansonsten nicht zu temperamentvollen Gangwechseln neigendes Tier handelte. Zu alledem fehlt jeder Vortrag des Beklagten.

Aus welchem tragfähigen Grund das LG die Klägerin insoweit für darlegungspflichtig gehalten hat, ist der angefochtenen Entscheidung nicht zu entnehmen.

Die Erwägung des Einzelrichters, die Klägerin habe nichts für ein Verschulden des ...

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