Entscheidungsstichwort (Thema)
Organhaftung einer als BGB-Gesellschaft betriebenen ärztlichen Gemeinschaftspraxis; Vergleichswiderruf durch nur einen Gesamtschuldner
Leitsatz (amtlich)
1. Betreiben mehrere Ärzte ihre Gemeinschaftspraxis als Gesellschaft bürgerlichen Rechts, ist der BGB-Gesellschaft ein zu Schadensersatz verpflichtendes Versäumnis eines Arztes in entsprechender Anwendung von § 31 BGB jedenfalls dann zuzurechnen, wenn der Schaden in Ausübung der dem Arzt typischerweise zustehenden Verrichtungen verursacht wurde (hier: Hinausschieben einer dringlich gebotenen Operation).
2. Für eine derart begründete gesetzliche Verbindlichkeit der BGB-Gesellschaft haben die anderen an der Gemeinschaftspraxis beteiligten Ärzte persönlich und als Gesamtschuldner einzustehen, auch wenn sie selbst keinerlei Schuldvorwurf trifft.
3. Ob der Widerruf eines gerichtlichen Abfindungsvergleichs durch nur einen von mehreren Schuldnern Gesamtwirkung hat, ist durch Auslegung zu ermitteln. Dabei kann auch von Bedeutung sein, ob der widerrufende Beklagte im Falle seiner Verurteilung eine Regressmöglichkeit gegen die anderen Gesamtschuldner hat (hier: verneint).
Normenkette
BGB §§ 31, 133, 157, 276, 423, 426, 705, 779, 823, 847; HGB § 128; ZPO § 794 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
LG Koblenz (Urteil vom 20.02.2004; Aktenzeichen 10 O 511/99) |
Tenor
I. Soweit der Rechtsstreit durch den Vergleich zwischen der Klägerin und den Beklagten zu 2) und 3) (Dr. M. und Stadt K.) nicht in der Hauptsache erledigt ist, wird unter Zurückweisung der Berufung des Beklagten Dr. S. das Urteil der 10. Zivilkammer des LG Koblenz v. 20.2.2004 auf die Berufung der Klägerin teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:
a) Der Beklagte Dr. S. wird verurteilt, an die Klägerin 30.268,60 Euro nebst 4 % Zinsen seit dem 29.1.2001 zu zahlen.
Er wird außerdem verurteilt, an die Klägerin Zinsen wie folgt zu zahlen:
4 % aus 28.234,14 Euro für die Zeit v. 1.12.1998 bis zum 28.1.2001,
4 % aus 2.034,46 Euro für die Zeit v. 26. bis zum 28.1.2001.
Der Beklagte Dr. S. haftet im Gesamtumfang seiner Verurteilung neben den Beklagten zu 2) und 3) als Gesamtschuldner.
b) Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, soweit die Klägerin die Feststellung begehrt hat, dass der Beklagte Dr. S. verpflichtet sei, ihr sämtlichen zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der aus der fehlerhaften Behandlung der Nierenerkrankung der Klägerin resultiert, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.
c) Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weiter gehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
III. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Davon ausgeklammert bleiben:
a) die im Berufungsverfahren entstandenen Gerichtskos ten, die wie folgt verteilt werden:
1,5 Gebühr nach 1220 KV tragen die drei Beklagten als Gesamtschuldner,
eine weitere 3,0 Gebühr nach 1226 KV fällt dem Beklagten Dr. S. zur Last.
IV. die Kosten des Vergleichs, von denen die Klägerin 3/10 und die Beklagten zu 2) und 3) als Gesamtschuldner 7/10 zu tragen haben.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte Dr. S. darf die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, sofern die Klägerin nicht vor der Vollstreckung eine entsprechende Sicherheit leistet.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die am 3.7.1956 geborene Klägerin hat die beiden beklagten Urologen und die Stadt K. als Trägerin des Krankenhauses K. auf Schadensersatz, Schmerzensgeld und Feststellung künftiger Ersatzpflicht in Anspruch genommen. Sie hat den Beklagten zahlreiche ärztliche Versäumnisse und Fehler in der zweiten Hälfte des Jahres 1997 und in der ersten Hälfte des Jahres 1998 angelastet. Letztlich soll das zu der am 16.11.1998 vorgenommenen Entfernung der rechten Niere der Klägerin geführt haben.
Die Klägerin leidet seit ihrer Kindheit an einem Morbus Chron. Links waren bereits wiederholt Nierenbeckensteine entfernt worden, als die Klägerin am 11.6.1997 erstmals die urologischen Gemeinschaftspraxis der Beklagten zu 1) und 2) in M. aufsuchte. Die Praxis wurde seinerzeit und auch noch im September 1997 in der Rechtsform einer BGB-Gesellschaft betrieben (Bl. 381/382 GA). Die Klägerin klagte über Rückenschmerzen. Der Erstbeklagte diagnostizierte eine akute Nierenbeckenentzündung links und stellte rechts einen großen Nierenstein fest. Wegen der Nierenbeckenentzündung links veranlasste der Erstbeklagte noch am selben Tag die stationäre Aufnahme der Klägerin im Krankenhaus M., wo der Beklagten zu 1) seinerzeit Belegarzt war. Am 25.6.1997 wurde die Klägerin aus dem Krankenhaus entlassen. Hiernach suchte sie die Praxis der Beklagten zu 1) und 2) erneut am 8.7.1997 auf. Zur Entfernung des Steins in der rechten Niere überwies der Erstbeklagte die Klägerin in das Krankenhaus K. in K., dessen Trägerin die Drittbeklagte ist. Dort stellte...