Leitsatz (amtlich)

1. Bei Entschädigungsklagen wegen überlanger Verfahrensdauer führt die Versäumung der Sechs-Monats-Frist nach § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG zu einem materiell-rechtlichen Anspruchsverlust.

2. Die Rückwirkung nach § 167 ZPO greift bei zeitnaher Zustellung nach Ablauf der genannten Frist ein. Eine Wiedereinsetzung nach Versäumung der Frist ist aus Rechtsgründen nicht möglich.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages (Kosten) vorläufig vollstreckbar.

Der Wert des Rechtsstreits wird auf 21.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Kläger macht Entschädigungsansprüche wegen der nach seinem Vorbringen infolge der unangemessenen langen Verfahrensdauer im Ausgangsverfahren 9 O 4../10 LG Mainz entstandenen materiellen und immateriellen Nachteile gegen das beklagte Land geltend. Der Kläger hat Klage gegen vier Beklagte erhoben. Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch bezog sich auf seine Beteiligung an der T GmbH & Co. D II und III KG (anders noch in S. 2 der Klageschrift - DBB2). In Anspruch genommen werden sollte der Fondsinitiator, die Kommanditgesellschaft, deren Komplementärin sowie die Mittelverwendungskontrolleurin.

Das Teilurteil gegen die Beklagte zu 4) vom 2. März 2016 führte zur Verurteilung dieser Beklagten und ist - so der Kläger - seit dem 3. April 2016 rechtskräftig (Bl. 9 d. A.). Bereits am 25. Februar 2016 wurde das vorläufige Insolvenzverfahren über das Vermögen der Mittelkontrolleurin (vormalige Beklagte zu 4) angeordnet. Zuvor bereits waren Insolvenzverfahren hinsichtlich der weiteren seinerzeitigen Beklagten angeordnet worden (2013 und 2014).

Der Kläger trägt vor:

Die zuständige Kammer des Landgerichts Mainz sei von Anfang an nicht gewillt gewesen, das Verfahren zu bearbeiten. So sei die Aussetzung des Verfahrens hinsichtlich eines Parallelverfahrens angeregt worden; es habe an der richterlichen Leitung und zielführenden Hinweisen durch das Gericht gefehlt. Den Beklagten seien unberechtigte Fristverlängerungen gewährt worden, ohne dass ein sachlicher Grund ersichtlich gewesen sei. Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Mainz hinsichtlich der Beklagten zu 4) sei erst spät durch das Gericht thematisiert worden und eine Terminierung sei verzögert erfolgt. Auch nach Erhebung der Verzögerungsrüge sei das Verfahren nicht zielgerichtet gefördert worden; es sei auch zu einer unbegründeten Terminsaufhebung gekommen. Wegen einer erneuten Fristverlängerung und der Verlegung des anberaumten Verkündungstermins sei eine zweite Verzögerungsrüge dann erhoben worden. Hätte das Ausgangsgericht das Verfahren nicht dermaßen unangemessen und unvertretbar in die Länge gezogen, hätte der Kläger seine Forderung noch rechtzeitig aus dem Vermögen der Mittelkontrolleurin (Beklagte zu 4) befriedigen können. Dies sei in den Jahren 2011/2012 noch möglich gewesen.

Der Kläger beantragt,

1. der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen (vom Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen gemäß § 287 festzusetzenden) Betrag als Entschädigung für den infolge der unangemessen langen Verfahrensdauer entstandenen Vermögensnachteil gemäß § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG zu bezahlen, jedoch mindestens 15.000,00 EUR.

2. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger den infolge der unangemessenen Verfahrensdauer entstandenen immateriellen Schaden in Höhe von 6.000,00 EUR gemäß § 198 Abs. 2 Satz 1, Satz 3 GVG zu zahlen.

3. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Das beklagte Land beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es beruft sich auf die Ausschlussfrist gemäß § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG und führt weiter aus, dass die Klägervertreter für unterschiedliche Parteien in den Jahren 2010 bis 2015 ca. 320 Klageverfahren beim Landgericht Mainz anhängig gemacht haben, die den genannten Anlagekomplex betrafen. Das vorliegende Verfahren sei angemessen geführt worden. Im Hinblick auf die Komplexität und die enorme Fülle an schriftsätzlichem Vorbringen (nebst Anlagen) sei unter Berücksichtigung einer ausreichenden Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit die Länge des Verfahrens nicht unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 GVG. Ein Entschädigungsanspruch stünde dem Kläger unter Berücksichtigung der einschlägigen obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 198 GVG nicht zu. Auch liege keine Kausalität zwischen dem geltend gemachten materiellen Schaden (materieller Entschädigungsanspruch) und der behaupteten Verzögerung vor. Ein Zugriff auf das Vermögen der Beklagten zu 4) sei ab den Jahren 2012/ 2013 nicht mehr erfolgversprechend möglich gewesen, da diese das operative Geschäft bereits eingestellt hatte.

Auch seien die Verzögerungsrügen nicht ordnungsgemäß erhoben und daher unbeachtlich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Parteien vorgelegten Schriftsätze nebst den weiter beigefügten Unterlagen verwiesen.

II. Die zulässige Klage d...

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