Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung eines Altenheims für den Unfall eines geistig verwirrten und in der körperlichen Beweglichkeit eingeschränkten Heimbewohners
Leitsatz (amtlich)
1. Ohne konkreten Anhalt für eine Gefährdung ist ein Altenheim nicht verpflichtet, beim VormG die Fixierung eines geistig verwirrten und gehbehindeten Heimbewohners in seinem Rollstuhl zu beantragen. Maßgeblich sind insoweit die Erkenntnisse, die vor dem Schadensereignis gewonnen werden konnten.
2. Hat der Betreuer des Altenheimbewohners in Kenntnis aller maßgeblichen Umstände einen Antrag auf Fixierung des Betreuten aus vertretbaren Erwägungen abgelehnt, ist die Leitung des Altenheims im Regelfall gehalten, diese Entscheidung zu respektieren.
3. Was sich dem medizinische Dienst der im Schadensfall eintrittspflichtigen Krankenkasse an Sicherungsmaßnahmen nicht aufdrängt, muss sich bei unverändertem Befund auch der Leitung eines Altenheims nicht aufdrängen.
4. Dass der zuständige Vormundschaftsrichter die Fixierung von Heimbewohnern auf entsprechenden Antrag „immer” anordnet, ist nicht entscheidungserheblich. Maßgeblich ist allein, wie er nach Auffassung des Regressgerichts im konkreten Fall über einen derartigen Antrag hätte entscheiden müssen.
Normenkette
BGB §§ 276, 1896ff
Verfahrensgang
LG Koblenz (Aktenzeichen 2 O 24/01) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des LG Koblenz vom 18.9.2001 wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die klagende Krankenversicherung begehrt aus übergegangenem Recht Ersatz von Behandlungskosten der am 5.12.1910 geborenen Antonia T. aufgrund eines Unfalls, den die Versicherte am 26.2.1998 im Altenheim der Beklagten erlitt.
Frau T. war zuvor am 8.1.1998 durch den medizinischen Dienst der Klägerin untersucht worden (Blatt 9 bis 20 GA). Im hierüber erstellten schriftlichen Gutachten vom 4.2.1998 ist die Spalte „zusätzliche Empfehlungen” unausgefüllt geblieben (Blatt 15 GA).
Am Unfalltag war Frau T. – in ihrem Rollstuhl sitzend – an einen Tisch im Speise – und Aufenthaltsraum des Altenheims geschoben worden. Gegen 17 Uhr erhob sie sich aus dem Rollstuhl, blieb mit dem Fuß am Tischbein hängen, stürzte zu Boden und zog sich Verletzungen zu, die zu den Krankenbehandlungskosten führten, deren Ersatz die Klägerin begehrt.
Die Klägerin meint, ursächlich für den – in seinen Einzelheiten streitigen – Unfall seien Pflichtverletzungen des Pflegeheimpersonals, insbesondere das Versäumnis, die Verletzte nach Einholung einer entsprechenden vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung in ihrem Rollstuhl zu fixieren.
Die Beklagte hat erwidert, das Problem sei mit der Betreuerin der Frau T. besprochen worden. Die Betreuerin habe sich gegen eine Fixierung und einen entsprechenden Antrag beim VormG ausgesprochen. Im Übrigen sei die Verletzte am Unfalltag unter Beobachtung des in der nahegelegenen Küche beschäftigten Pflegepersonals gewesen. Eine lückenlose Überwachung könne weder gefordert noch geleistet werden.
Das LG hat Zeugenbeweis erhoben und die Klage hiernach abgewiesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass Frau T. lediglich die Angewohnheit gehabt habe, sich am Tisch zu erheben und an Ort und Stelle eine Weile stehend zu verharren. Dass sie darüber hinaus versuchen würde, aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe zu gehen, sei nicht vorhersehbar gewesen. Vor diesem Hintergrund habe kein Anlass bestanden, beim VormG die Fixierung im Rollstuhl zu beantragen.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung. Sie wiederholt, ergänzt und vertieft ihren erstinstanzlichen Sachvortrag und behauptet, beide für derartige Maßnahmen bei dem AG Montabaur zuständigen Richter hätten eine Fixierung der Patientin bei einem entsprechenden Antrag, den die Beklagte versäumt habe, genehmigt. Dazu beruft sie sich auf das Zeugnis der beiden Vormundschaftsrichter, denen der hier entscheidungserhebliche Sachverhalt geschildert worden sei.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das LG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Es fehlt an einer Verletzung der Pflichten, die der Heimleitung und dem Pflegepersonal aufgrund des Heimvertrages oblagen. Die Beklagte haftet daher weder vertraglich noch deliktisch für die Folgen des bedauerlichen Unfalls vom 26.2.1998.
Der Träger eines Altenheims ist jedoch nicht nur zur Betreuung und Versorgung der Heimbewohner verpflichtet. Ihm obliegt deliktsrechtlich auch eine Verkehrssicherungspflicht zum Schutz der alten Menschen vor einer Schädigung, die diesen wegen Krankheit oder einer sonstigen körperlichen oder geistigen Einschränkung durch sie selbst und durch die Einrichtung und bauliche Gestaltung des Altenheims droht.
Diese Pflicht ist allerdings beschränkt ...