Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Anwalts erster Instanz für einen Schaden, der unmittelbar erst durch einen Fehler des zweitinstanzlichen Bevollmächtigten herbeigeführt wird
Leitsatz (amtlich)
1. Erhebt der Beklagte in der mündlichen Verhandlung die Einrede der Verjährung, die nur gegenüber einer von mehreren Anspruchsgrundlagen greift, ist der Klägeranwalt verpflichtet, das Gericht darauf hinzuweisen, dass die Verjährungseinrede im Übrigen nicht entscheidungserheblich ist.
2. Der Ursachenzusammenhang zwischen dem Versäumnis der erstinstanzlichen Anwalts des Klägers ist nicht deshalb unterbrochen, weil auch der Berufungsanwalt das Problem übersieht und daher den Mandanten veranlasst, das an sich erfolgversprechende Rechtsmittel zurückzunehmen.
3. Der Fehler des Berufungsanwalts begründet kein Mitverschulden des Mandanten. Sein Regressanspruch gegen den erstinstanzlichen Bevollmächtigten ist daher nicht ausgeschlossen oder eingeschränkt.
4. Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch entsprechend § 906 Abs. 2 S. 2 BGB besteht auch dann, wenn von einem Grundstück auf ein benachbartes Grundstück einwirkende Beeinträchtigungen zwar rechtswidrig sind und daher nicht, wie im gesetzlich geregelten Falle, geduldet werden müssen, der betroffene Eigentümer jedoch aus besonderen Gründen gehindert ist, solche Störungen gem. § 1004 Abs. 1 BGB zu unterbinden.
Normenkette
BGB § 254 Abs. 2 S. 2, §§ 276, 278, 675, 906, 909, 1004
Verfahrensgang
LG Mainz (Aktenzeichen 1 O 442/00) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 1. Zivilkammer des LG Mainz vom 3.5.2001 geändert:
Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt.
2. Zur Entscheidung über den Betrag des Anspruchs wird die Sache an das LG Mainz zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden hat.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger nimmt den beklagten Rechtsanwalt auf Schadensersatz wegen Schlechterfüllung eines Anwaltsvertrages in Anspruch. Der Beklagte war Prozessbevollmächtigter des Klägers in dem Rechtsstreit 1 O 486/99 LG Mainz, der sich erfolglos gegen Gregor B. richtete.
Diesem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Kläger ist Eigentümer eines bebauten Grundstücks. Der Eigentümer des Nachbargrundstücks veräußerte seine unbebaute Parzelle durch Vertrag vom 16.4.1994 an Gregor B. Dieser nahm das Grundstück in Besitz. Im Mai/Juni 1994 wurde eine Baugrube für das auf dem Grundstück zu errichtende Gebäude ausgehoben. Die Ausschachtungsarbeiten erfolgten in einem Abstand von lediglich 15 Zentimetern entlang der Grenze zum Grundstück des Klägers. Im Herbst 1994 traten am Haus des Klägers Risse auf, die er auf die Ausschachtungsarbeiten zurückführt.
1995 strengte der Kläger – vertreten durch den Beklagten des vorliegenden Rechtsstreits – ein selbstständiges Beweisverfahren an, das sich jedoch nicht gegen Gregor B., sondern gegen die Baufirma und den Architekten richtete. Eine gegen diese Beteiligten 1996 erhobene Klage war zwar erfolgreich, Vollstreckungsversuche des Klägers verliefen jedoch ergebnislos.
Daher erhob der Kläger im August 1998 – vertreten durch den Beklagten des vorliegenden Verfahrens – Klage gegen Gregor B., dem er vorwarf, die Anweisung erteilt zu haben, derart nah an der Grundstücksgrenze auszuschachten. Der Kläger begehrte 11.000 DM nebst Zinsen.
Durch Urteil des LG Mainz vom 11.2.1999 wurde die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Anspruch sei verjährt (§ 852 BGB). Der Beweissicherungsantrag habe die Verjährung nicht unterbrechen können, weil er sich nicht gegen Gregor B. gerichtet habe.
Entscheidungsgründe
Gegen das Urteil legte der Kläger – vertreten durch den beim OLG zugelassenen Rechtsanwalt S. – Berufung ein. Nach mehrmaliger Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist wurde das Rechtsmittel zurückgenommen. Zuvor hatte der amtlich bestellte Vertreter des Rechtsanwalts S. dem Beklagten des vorliegenden Verfahrens mitgeteilt, das LG habe zutreffend die Verjährungseinrede durchgreifen lassen, weshalb die Berufung des Mandanten (Kläger) nicht erfolgversprechend sei (Blatt 141/142 GA). Nach Rücksprache mit dem Kläger bat der Beklagte den zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten um Rücknahme der Berufung (Bl. 143 GA).
Nunmehr lastet der Kläger dem Beklagten im vorliegenden Rechtsstreit an, den Beweissicherungsantrag und die erste Klage fehlerhaft nicht gegen Gregor B. gerichtet zu haben. Ohne dieses Versäumnis wäre Gregor B. verurteilt worden; der sei auch zahlungsfähig.
Der Beklagte hat erwidert, die Eigentumsumschreibung auf Gregor B. sei erst am 21.3.1996 erfolgt. Für die im Frühjahr 1994 vorgenommenen Ausschachtungsarbeiten habe Gregor B. unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gehaftet. Mithin hätte der Kläger auch ohne die Verjährungseinrede den Vorprozess nicht gewonnen. Im Übrigen sei der eingeklagte Anspruch wegen Schlechterfüllung des Anwaltsvertrages ebenfalls verjährt.
Das LG hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dem Beklagten sei nicht bekannt gewe...