Leitsatz (amtlich)
1. Die Haftung für Pflichtverletzungen bei der Betreuung von Kindern in Kin-destagesstätten in öffentlicher Trägerschaft in Rheinland-Pfalz beurteilt sich nach Amtshaftungsgrundsätzen.
2. Die den Erzieherinnen als Amtspflicht obliegende Aufsichtspflicht bezweckt (auch) den Schutz dritter Personen vor den aufgrund kindlichen Verhaltens drohenden Gefahren.
3. Halten sich Kinder im Außengelände einer Kindertagesstätte auf, wird re-gelmäßig zwar keine vollends dichte, aber doch eine recht engmaschige Aufsicht vonnöten sein. Dies gilt umso mehr, wenn dort besondere Ge-fahrmomente für die Kinder oder dritte Personen bestehen oder sich entwi-ckeln können, wie etwa bei der nach aller Erfahrung nicht seltenen Zweck-entfremdung von Spielgeräten oder sonstigen Materialien.
4. Die Beweislastumkehr nach § 832 Abs. 1 Satz 2 BGB findet auch bei öf-fentlich-rechtlichen Aufsichtsverhältnissen Anwendung.
Normenkette
GG Art. 34; BGB § 832 Abs. 1 S. 2, § 839 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Trier (Urteil vom 23.08.2011; Aktenzeichen 11 O 36/11) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Einzelrichters der 11. Zivilkammer des LG Trier vom 23.8.2011 abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.125,58 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.8.2010 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits im ersten und zweiten Rechtszug trägt die Beklagte .
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 115 v.H. des auf Grund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 115 v.H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger verfolgt gegenüber der beklagten - verbandsfreien - Stadt als Trägerin der Kindertagesstätte Z. einen Schadensersatzanspruch wegen Beschädigung seines Firmenfahrzeugs durch Steine werfende Kleinkinder.
Es wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
Das mit einem hohen Gittermattenzaun aus Metall eingezäunte Außengelände der Kindertagesstätte hat eine Fläche von 20 m 25 m. Rings um das Kita-Gebäude liegen Ziersteine (größere weiße Kieselsteine); in Richtung auf den Zaun schließt sich ein Wiesenbereich an.
Das LG hat nach Beweisaufnahme mit Urteil vom 23.8.2011 (Bl. 84 ff. GA) die Klage abgewiesen; hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers.
Der Kläger rügt eine falsche Beweiswürdigung sowie die fehlerhafte Bewertung der Beweislast. Aus der Aussage des Zeugen H. ergebe sich, dass die Kinder zunächst die Kieselsteine aufgesammelt, sodann zum Zaun getragen und anschließend geworfen hätten, was zweifelsfrei einige Zeit habe in Anspruch nehmen müssen; die Steinwürfe hätten zudem "relativ laute Geräusche" hervorgerufen. Das LG verkenne überdies die Widersprüchlichkeit der Bekundung der Zeugin K.; diese wolle das Verhalten der aus ihrer Spielgruppe stammenden Kleinkinder - Aufsammeln und Werfen der Kieselsteine - nicht wahrgenommen haben. Kinder auf dem Außengelände einer Kindertagesstätte seien indessen so zu beaufsichtigen, dass eine relativ engmaschige Kontrolle durch das Aufsichtspersonal sichergestellt sei; die hier vorgelegene Aufsicht durch "nur" zwei Erzieherinnen habe dem nicht genügen können. Die mangelnde Sorgfalt der beiden Zeuginnen - Erzieherinnen - habe dazu geführt, dass die Kinder Steine gegen das klägerische Fahrzeug hätten werfen können; die Entfernung von drei Kindern aus der doch recht kleinen Gruppe hätte bemerkt werden müssen. Zur Wahrnehmung der ihnen obliegenden Aufsichtspflicht hätten die beiden Zeuginnen nichts Näheres bekundet; dies gehe zu Lasten der beklagten Stadt.
Der Kläger beantragt, das Urteil des LG Trier vom 23.8.2011 abzuändern und die beklagte Stadt zu verurteilen, an den Kläger 1.125,58 EUR nebst Zinsen i.H.v. 8 % über dem Basiszinssatz seit dem 27.8.2010 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil, das mit sorgfältiger Begründung zum zutreffenden (Beweis-)Ergebnis gelangt sei und rechtsfehlerfrei eine Verletzung der Aufsichtspflicht verneint habe. Nach der Beweisaufnahme stehe fest, dass drei Kinder aus der acht Kinder starken Gruppe der Zeugin K. Kieselsteine "in einem Schwung" auf das Fahrzeug des Klägers geworfen hätten. Vor dem Steinewerfen habe es keine Anhaltpunkte für eine derartige Verhaltensweise der betreffenden Kleinkinder gegeben; deren dauernde "Überwachung auf Schritt und Tritt" könne weder verlangt werden noch wäre dies den Erzieherinnen zumutbar gewesen (Erziehungsziel; Gartenprojekt). Die Zeugin K. habe "ihre" acht Kinder nicht permanent im Blick haben können; trotzdem sie "regelmäßig nach den Kindern der Gruppe geschaut" habe, habe sie v...